Im Menschen ist das Bedürfnis nach sozialer Einbindung genetisch seit Jahrtausenden verankert. Wird das junge Smartphone den Anforderungen des Sozial – Gens gerecht?

Smartphones machen asozial. Wer als „Smombie“ apathisch durch die Straßen wandelt, ist uninteressiert an seiner realen Umwelt, versunken in eine digitale Parallelwelt, die kaum mehr sein kann als ein Abklatsch des wirklichen Hier und Jetzt. Jemand, der selbst an der Supermarktkasse auf sein Handy starrt, scheint verloren in einer künstlich erschaffenen Sphäre, in der er wahre und aufrichtige zwischenmenschliche Situationen verpasst.

Beobachtet man einen konzentrierten Smartphone-User in der Öffentlichkeit, werden Urteile wie diese eventuell nachvollziehbar. Als Außenstehender hat man in einem derartigen Moment keinen Zugang zum Gerätebesitzer, man ist aus dessen Welt definitiv ausgeschlossen. Worin dieses ausdruckslose Gesicht wohl vertieft ist? Zur Beantwortung dieser Frage helfen uns eigene Erfahrungswerte. Fehlen diese, greift man – mitnichten immer bewusst – auf Postulate öffentlicher Diskussionen zurück: Vielleicht „sammelt“ der andere gerade bedeutungslose Freundschaften auf Facebook. Vielleicht schaut er sich ein inhaltsloses Snapchat-Video eines Freundes an. Vielleicht lässt er sich von bunten Bubbles seine wertvolle Zeit stehlen. In jedem Fall bekommt er viel zu wenig von seiner Umwelt mit und ist ihr doch sicher schon komplett entfremdet.

Vorbehalte sind durchaus angebracht. Doch wer die Kopf-Senker kategorisch als Gesellschafts- und Realitätsflüchtlinge betrachtet, hat sich zu stark vom negativen Tenor der Digitalisierungsdebatte leiten lassen und dabei positive Blickrichtungen außer Acht gelassen. Blickrichtungen, die einem Smartphone-User sehr wohl Interesse an dessen Umwelt einräumen. Blickrichtungen, die seine soziale Affinität bezeugen. Und seine Kompetenz auf diesem Gebiet. Man denke nur an eine Bahnfahrt, in der mindestens die Hälfte der im Waggon Mitreisenden auf ihre Handys zu starren scheinen. Wie wäre es mit der Perspektive, dass ein Smartphone-User in der Bahn die wenige Zeit nutzt, um aktiv mit den ihm wichtigen Menschen in Kontakt zu treten oder mindestens als Beobachter ihrer „Aktivitäten“ auf dem aktuellen Stand der Dinge zu bleiben? Wie wäre die Option, dass sich der als Smombie – Verurteilte gerade über ein Parteiprogramm informiert, um bei der anstehenden Wahl ein reflektiertes Kreuzchen setzen zu können? Und selbst, wenn das ausdruckslose Gesicht dort hinten in einem Spiel oder einer Daddelei abschaltet – eventuell braucht es diese Auszeit, um Energie für die nächste soziale Interaktion zu tanken oder vom stressigen Arbeitstag abzuschalten und wählt hierfür einfach lieber das Fenster in die digitale Welt als das Fenster mit Blick auf eine dunkelnde Zuglandschaft.

Menschen sind anthropologisch betrachtet soziale Wesen. Schon vor 60 000 Jahren brauchte man einander, um zu überleben. Dieses Wissen tragen unsere Gene noch immer in sich. Abartige Experimente vergangener Zeiten (man denke etwa an das Sozial- und Sprachexperiment Friedrichs II.: Er ließ Säuglinge von Ammen umsorgen, die die Neugeborenen zwar mit lebenserhaltenden Dingen wie Nahrung versorgten, aber nicht mit ihnen sprechen oder sie in irgendeiner Form liebkosen durften. Das Ergebnis: Alle Säuglinge starben.) und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen dies. Das Smartphone mit all seinen technologischen Entwicklungen ist aus dieser anthropologischen Sicht das Produkt einer sozialen Spezies, die damit versucht, ihrem Ur-Bedürfnis nach sozialer Einbindung nachzukommen. Es mag einen anderen Umgang miteinander provozieren, indem vieles nun auch über digitale Kanäle abgehandelt wird. Diese sind aber nicht per se zu verteufeln: Der richtige Umgang mit ihnen ist entscheidend.

Das Smartphone ermöglicht zunächst einmal noch ungewohnte Umgangsformen, deren genaue Wirkweisen und Konsequenzen momentan nicht zweifelsfrei abgesehen werden können. In der Fremdheitsforschung findet man genau hierin die Erklärung dafür, dass in der Öffentlichkeit eine skeptische Grundstimmung wahrzunehmen ist, die von vorsichtig zurückhaltend bis überzeugt ablehnend spannt: Das Smartphone bringt eine  Anzahl unbekannter Größen ins Spiel des sozialen Lebens, die die uns bekannte (analoge) Ordnung des gesellschaftlichen Miteinanders durcheinander bringen, ja teilweise gar infrage stellen. Doch dürfen wir die „Fremdlinge“ als relative begreifen: Wir lernen, uns diese selbst erschaffenen (!) Variablen zu erschließen, sie in unser soziales Ordnungs- und Kommunikationssystem zu integrieren. Natürlich stehen hierbei einige grundlegende Veränderungen zur Diskussion. Wir dürfen wohl aber dabei darauf vertrauen, dass wir dank unserer Veranlagung diese Prozesse in produktive, kommunikative, soziale Bahnen lenken können. Die Herausforderung besteht darin, sich auf „das Neue“ einzulassen, den medial-aufgebauschten Ängsten reflektierend gegenüber zu treten und den Wandel derart zu gestalten, dass das Smartphone in seinen Potentialen als Unterstützung für den Menschen zum Einsatz kommen kann.