Derzeit findet kaum eine Konferenz zur beruflichen Aus- und Weiterbildung statt, die nicht die Herausforderungen durch Industrie 4.0, Automatisierung und Digitalisierung thematisieren würde – an einigen konnte ich in den vergangenen Wochen selbst mitwirken. Dabei fiel mir auf, dass die Referenten aus den einschlägigen Bildungsorganisationen der Industrie und des Handwerks heute zwar keinen Zweifel an dem Nutzen von WBTs, Webinaren oder Erklärvideos haben, allerdings immer dann skeptisch oder sogar ablehnend reagieren, wenn es um komplette virtuelle Bildungsangebote geht, also z.B. Online-Kurse wie die von Udacity, oder auch MOOCs in den unterschiedlichen Spielarten.

Das Argument gegen solche Angebote lautet ungefähr so: Da man es in der betrieblichen Weiterbildung häufig mit Menschen zu tun habe, die nicht gewohnt seien, eigenständig zu lernen, ja sogar manchmal eher bildungsfern seien, wäre es schwierig bis unmöglich, dieses Klientel allein virtuellen Bildungsangeboten zu überlassen. Gerade solche Menschen, so heißt es, benötigten vielmehr den persönlichen Austausch, das Beisammensein mit Gleichgesinnten und Dozenten in angenehmer Atmosphäre, um ausreichend Motivation für Weiterbildung aufzubringen. Selbstverständlich könnten Präsenz-Phasen online begleitet, vor- und nachbereitet werden, jedoch sei es eine schlichte Tatsache, dass diese Menschen mit weitergehenden Online-Angeboten nicht zurecht kommen würden.

Dieser Befund aus der Praxis deckt sich übrigens mit Ergebnissen aus dem Monitor Digitale Bildung. Auch hier zeigte sich, dass ein großer Anteil der Befragten – und zwar quer durch alle Bildungssegmente – auf die Frage nach den bevorzugten Lernformaten sagten, dass auf klassische Schulungs- und Präsenzformate keineswegs verzichtet werden sollte und gerade der Mix zwischen On- und Offline den Reiz ausmache.

Sind also die heutigen „Lerner“ viel konservativer, als manche Digital-Enthusiasten behaupten? Und lässt sich daraus nicht geradezu zwingend ableiten, dass man als Bildungsanbieter, zumal in der beruflichen Bildungswelt, gut daran tut, an tradierten Methoden festzuhalten? Denn wenn dem so ist, dass die Menschen – gerade die „bildungsferneren“ – lieber für zwei, drei Tage in ein schön gelegenes Bildungszentrum reisen, mit ausreichend Abstand zum Alltag, Begleitprogramm und leckerem Abendessen, als am Abend zuhause einen 6-wöchigen Online-Kurs zu bearbeiten und sich in virtuellen Lerngruppen auszutauschen, dann wäre es ja geradezu sträflich, genau dieses Bildungszentrum der Digitalisierung zu opfern?!

Ja und nein. Ja, da es selbstverständlich auch im Zeichen von Industrie 4.0 nicht darum gehen kann, quasi dogmatisch auf Virtualisierung umzustellen und traditionelle Formen rundweg abzulehnen. In vielen Bereichen sind erstens die didaktischen Unzulänglichkeiten digitaler Bildungsformate viel zu offensichtlich, als dass man einseitig darauf setzen könnte. Und es lässt sich zweitens auch nicht bestreiten, dass bestimmte Zielgruppen besser im „traditionellen Modus“ lernen.

Dennoch verbinden sich mit dieser Sicht der Dinge auch einige Fragen:

  1. Haben die etablierten beruflichen Bildungsträger ihre Programme wirklich konsequent daraufhin geprüft, welche Themen und Angebote fachlich und didaktisch besser off- als online durchgeführt werden sollten, oder steckt in dem oben beschriebenen „Traditionalismus“ nicht manchmal auch das heimliche Festhalten an (noch) funktionierenden Geschäftsmodellen?
  2. Wären, angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Technologien im Berufsleben, nicht eigentlich virtuelle Lern-, Kommunikations- und Kollaborationsformate besser dazu geeignet, um die geforderten „digitalen“ Kompetenzen zu erwerben, als klassische Offline-Schulungen? Anders gefragt: Könnten nicht viele Berufstätige in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen davon profitieren, wenn digitale Technologien, Kommunikations- und Arbeitsformen für sie selbstverständlich wären?
  3. Würden nicht viele Menschen, wenn sie die Wahl hätten, lieber an Präsenz- als an Online-Meetings teilnehmen? Vermutlich schon. Doch diese Frage stellt sich heute nicht mehr. Ohne Webmeetings wären viele Industriebereiche längst nicht mehr effizient arbeitsfähig, ob das gefällt oder nicht. Effizienzüberlegungen werden sicherlich auch vor der Corporate Education nicht halt machen. Das Motto großer Unternehmen heißt deshalb immer öfter „Digital First“.

Es sollen hier keineswegs „Sachzwang“-Argumente angeführt werden, nach dem Motto: Die Digitalisierung geht nicht mehr weg, also bleibt der beruflichen Bildung nichts anderes übrig als mitzuziehen. Nein, es geht vielmehr darum, genauer als bisher darüber nachzudenken, ob und inwieweit die den virtuellen Lernformen unterstellten Nachteile tatsächlich zutreffen, und welche der Potenziale von Weiterbildungsanbietern möglicherweise noch gar nicht erkannt und umgesetzt werden – man denke beispielsweise an soziales und informelles, berufsbegleitendes und situatives Lernen:

Ein Zugriff auf einen Katalog von Trainingsvideos kann beispielsweise helfen, am Arbeitsplatz schnell Probleme zu lösen – so wie es viele schon in der Freizeit tun. Gleiches gilt für Fragen, die Experten oder Kollegen in einem Forum oder Chat rasch beantworten können. Situatives Lernen dieser Art ersetzt oder reduziert manches „Lernen auf Vorrat“.

Hier liegen nicht nur weitgehend unentdeckte didaktische Potenziale – gerade auch mit Blick auf bildungsferne Zielgruppen -, sondern auch neue geschäftliche Potenziale für etablierte Präsenzschulungsanbieter.