Die Idee der Schulcloud ist im Kern eine einheitliche, länderüberreifende Lernmanagement- und Content-Plattform für alle Schulen. Davon verspricht man sich vor allem vier Vorteile:

  • Erstens könnten grundlegende funktionale Anforderungen im Bereich des Nutzermanagements wie z.B. Authentifizierung, Rollen und Rechte, ID-Management etc. zentral entwickelt, bereitgestellt und unterstützt werden.
  • Zweitens könnte ein übergreifendes Lizenzmanagement mit entsprechenden Schnittstellen und APIs zu den Verlagen und Contentanbietern eingeführt werden. Dies würde den Entwicklungs- und Betriebsaufwand auf deren Seite erheblich reduzieren.
  • Drittens würde es möglich, alle Anwendungen, Dienste und Inhalte als Webservices – eben „aus der Cloud“ – zu konsumieren. Keine Schule, kein Schulträger und kein Bundesland müsste eigene Server betreiben und Software beschaffen. Sämtliche Nutzungen bis auf die Ebene des Einzelnutzers hinunter erfasst und entsprechend abgerechnet werden; Abo-Modelle wären ebenso denkbar wie länderübergreifende Nutzergemeinschaften und Kooperationen. Es ergäben sich erhebliche wirtschaftliche Vorteile im Vergleich zur Entwicklung mehrerer proprietärer Landes-Clouds.
  • Viertens würde eine solche bundesweite Plattform Nutzungs- und Nutzerdaten in großer Menge generieren, sprich „Big Data“. Dadurch würden auch KI-basierte Services möglich, etwa für das „adaptive“ und „predictive learning“ sowie für die pädagogische Analyse und individuelle Beratung.

Soweit so gut. Trotz dieser Vorteile stocken die Aktivitäten für eine Bundes-Schulcloud und fast alle Bundesländer schlagen derzeit eigene Wege ein. Dabei sind manche Länder bereits deutlich weiter als andere: Bremen hat sich beispielsweise bereits vor Jahren für eine Lösung von „its learning“ entschieden. Rheinland-Pfalz baut einen eigenen virtuellen Schulcampus. Bayern betreibt „mebis“ und NRW nach einigen Startschwierigkeiten „Logineo“. Baden-Württemberg unterzieht sein fehlgestartetes System „Ella“ gerade einer Generalrevision.

Das vom BMBF mit der Entwicklung einer Bundes-Schulcloud beauftragte Hasso Plattner Institut (HPI) in Potsdam hat inzwischen zwar bereits einen Prototypen in Betrieb genommen (u.a. an den MINT-Schulen Niedersachsens), aber abgesehen von Niedersachsen und Brandenburg zeigen sich andere Bundesländer noch eher zurückhaltend gegenüber der HPI-Lösung. Ob sich das knapp 7 Mio teure „Förderprojekt“ des renommierten Informatik-Instituts in der alltäglichen Anwendung „unter Last“ bewährt und den Anforderungen der Schulen entspricht, wird sich in den kommenden Monaten erweisen.

Ähnlich wie beim bundesländerseitig zunächst heftig umstrittenen Digital-Pakt stehen also auch in Sachen Bundes-Schulcloud die Zeichen eher auf Länderhoheit und Differenzierung als auf Gemeinsamkeit und bundesweiter Standardisierung. Und wie schon beim eGovernment muss man wohl auch bei der Schuldigitalisierung hierzulande mit einem vom Föderalismus geprägten dauerhaften Schneckentempo rechnen. Doch weshalb zeigen sich die Länder so zurückhaltend in Sachen Schulcloud?

Da ist vor allem das Problem mit den Daten: In der Tat arbeiten Schulen und Lehrende mit hoch sensiblen Informationen und es wird daher immer wieder betont, wie essentiell der Datenschutz ist. Unter welchen Bedingungen also können, sollen und dürfen schülerbezogene Daten in einer Bundescloud verarbeitet – und ggf. analysiert – werden? Stellen wir uns kurz vor, welche Auswertungen und Einblicke ins Schulsystem denkbar wären: Quasi auf Knopfdruck könnten hier nicht nur persönliche Profilinformationen und Leistungsdaten von Schülern, sondern auch Nutzungsprofile von Lehrern ausgewertet werden. Kennziffern zu Klassenstufen und Schülergruppen, Schulen und Schulbezirken, Landkreisen und Ländern wären bis ins Detail mess- und vergleichbar. Ist eine Bundescloud erst einmal deutschlandweit in Betrieb, so muss man wohl davon ausgehen, dass genau solche vergleichenden Analysen auch nachgefragt würden, möglicherweise sogar von der Politik.

Skepsis herrscht allerdings auch mit Blick auf die pädagogisch-funktionale Konzeption einer einheitlichen Plattform. Welche Lernarrangements werden systemseitig präferiert, welche didaktischen Möglichkeiten den Lehrenden angeboten? Steht – aus Ländersicht – zu befürchten, dass eine solche Bundes-Plattform den schulpolitischen Handlungs- und Gestaltungsrahmen auf Landesebene einengt oder sogar vorgibt? Anders gefragt: Welche Einflussmöglichkeiten blieben den Ländern z.B. auf die Inhalte und Funktionen einer solchen Cloudlösung?

Und letztendlich sind auch Bedenken nicht ganz von der Hand zu weisen, wonach eine bundesweite Lösung mit erheblichem Abstimmungs- und Regelungsaufwand verbunden wäre – sowohl in der Entwicklung als auch später im Betrieb. Immerhin müsste die Bundes-Cloud Anforderungen und Wünsche von 16 Kultusministerien sowie von unzähligen Schulträgern berücksichtigen. Ist es angesichts dieser zu erwartenden Komplexität also nicht nachvollziehbar, wenn sich die Bundesländer zunächst auf eigene Lösungen konzentrieren – und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine Vernetzung untereinander anstreben?

Ich meine ja. Und finde es dennoch zugleich überaus bedauerlich, dass aufgrund der mehr oder weniger berechtigten Bedenken die enormen Potenziale einer bundesweiten Plattform-Lösung auf absehbare Zeit ungenutzt bleiben könnten. Schulbuchverlage und andere Content-Anbieter werden sich zunächst einmal an x-verschiedene Plattformen anbinden müssen, möglicherweise in Verbindung mit jeweils anderen Lizenz-und Nutzungsvereinbarungen. In allen Systemen müssen ähnliche Services entwickelt und Technologien gewartet werden. Das kostet Zeit und Geld. Wer weiß, welchen Aufwand es allein schon bedeutet, digitalen Content in verschiedenen Lernmanagementsystemen bereitzustellen, die ihrerseits beständig Upgrades und Updates durchlaufen, wird erahnen, dass dies alles andere als trivial ist (auch wenn die Software-Anbieter verständlicherweise nicht müde werden, selbiges immer wieder zu behaupten). Angesichts des hohen Innovationstempos gerade im Bereich der digitalen Lerntechnologien ist davon auszugehen, dass die Plattform-Betreiber auf Länderebene dabei ganz schön ins Schwitzen kommen werden.

Nein, es kann keinen ernsthaften Zweifel daran geben, dass verschiedene proprietäre Lösungen mit einem massiv erhöhten Entwicklungs- und Supportaufwand einhergehen und überdies die Zusammenarbeit mit den Verlagen und anderen externen Partnern nachhaltig behindern. Dezentrale Lösungen mögen aus Ländersicht vorteilhaft erscheinen, insgesamt betrachtet werden sie meines Erachtens den Weg zur digitalen Schule aber eher erschweren und verlängern. Viel sinnvoller wäre es doch, wenn die Länder ihre Energie statt in die individuelle Infrastruktur in individuelle Förderung und pädagogische Konzepte für Schulen im digitalen Zeitalter investieren würden.