Eines der zentralen Anliegen des „Monitor Digitale Bildung“ war es, die Potenziale digitaler Medien für benachteiligte Lernende auszuloten, und zwar unter der Leitfrage: Welche Effekte hat digitales Lernen insbesondere auf gesellschaftliche Teilhabe und den Zugang zu Bildung? In den vergangenen Monaten haben wir hier im Blog die verschiedenen Ergebnisse der einzelnen Bildungssektoren Schule, Ausbildung, Hochschule und Weiterbildung miteinander verglichen. In diesem abschließenden Beitrag fragen wir noch einmal: Welche teilhabeförderlichen Maßnahmen werden in den Bildungsinstitutionen ergriffen? Und was denken die Verantwortlichen, inwieweit digitale Lernmedien Teilhabe ermöglichen?

Der Monitor geht bei „benachteiligten Lernenden“ von einem sehr weiten Begriff aus. Zu dieser Zielgruppe zählen zum Beispiel Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status, mit örtlich beschränktem Zugriff zu Infrastruktur, mit Migrationshintergrund, mit einer atypischen oder prekären Beschäftigung sowie Menschen mit besonderem Förderbedarf.

Selbstbestimmtes Lernen für alle

Inwieweit setzen Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen digitale Medien ein, um diese Gruppen zu unterstützen? Grundsätzlich nutzen Lehrende in allen Sektoren Angebote zum selbstbestimmten Lernen, um den Bedürfnissen von Lernenden mit Förderbedarf gerecht zu werden.  Mehr als die Hälfte aller befragten Lehrkräfte ermöglichen so selbstständiges Lernen, bei dem man also unter anderem Ort, Zeit und Tempo des Lernens individuell bestimmen kann (Hochschule: 61% der Lehrenden, Berufsschule: 59%, Weiterbildung: 57%, Schule: 50%).

Darüber hinaus setzen die Bildungseinrichtungen allerdings unterschiedliche Schwerpunkte: In den Schulen und in den Weiterbildungsakademien dominieren spielerische Angebote, die die benachteiligten Lerner motivieren sollen (Schule: 69%, Weiterbildung: 61%). Hinzu kommen dort Angebote, die Sachverhalte mit Videos leichter verständlich machen (Schule: 56%, Weiterbildung: 49%). Dies sind Angebote, die nicht nur speziell benachteiligten Lernenden zu Gute kommen, sondern die sich an alle Lernenden richten.

Die Berufsschulen stellen auffällig häufig Geräte zur Verfügung, wenn die Auszubildenden diese nicht besitzen (50%), und machen bei Bedarf Lernressourcen kostenlos zugänglich, die ansonsten kostenpflichtig sind (40%). Die Hochschulen kommen den Bedarfen von benachteiligten Lernenden hingegen allenfalls dadurch entgegen, dass sie kurze Evaluationen anbieten, die kontinuierlich über den Lernstand Auskunft geben (30%).

Eines haben die meisten der bis hierhin beschriebenen Unterstützungsformen gemeinsam – sie sind für alle Gruppen von Lernenden eine Hilfe, unabhängig von ihrer physischen oder ökonomischen Situation. Schließlich freuen sich alle Lernenden über gut visualisierte Lerninhalte und schätzen Angebote, die sich ihren Lernbedürfnissen anpassen.

Schwieriger wird es allerdings, wenn die unterstützenden Angebote bestimmte Handicaps adressieren sollen. Verschwindend gering ist zum Beispiel der Anteil der Lehrenden, die assistive Systeme befürworten, um körperliche Handicaps auszugleichen (z.B. Vorlesefunktion von Texten, Anpassung für Braillezeilen). Gleiches gilt für Inhalte, die an mentale und psychische Handicaps angepasst sind (z.B. Texte in „einfacher Sprache“).

Potenzial zur Förderung Benachteiligter wird erkannt, doch andere Aspekte wiegen schwerer

Um zu prüfen, ob digitale Lernformen speziell für die Zielgruppe der Benachteiligten Vorteile bieten, wurden den Lehrenden der Bildungssektoren Schule, Hochschule und Weiterbildung verschiedene Statements zu digitalen Lehr- und Lernangeboten vorgelegt, darunter auch „Sie erleichtern körperlich beeinträchtigen/sozial benachteiligten Lernenden den Zugang zum Lernen“. Vor allem in Hochschulen wird dieses Potenzial gesehen, und zwar für körperlich beeinträchtigte Menschen (49% der Lehrenden). In etwas geringerem Maße sehen dies auch Lehrende an Weiterbildungsakademien (43%) und Schulen (37%) so. Auch wenn andere Effekte digitaler Medien wie die allgemeine Motivation der Lernenden und vor allem das Image einer Bildungseinrichtung von den Lehrenden größer eingeschätzt werden, ist dies ein ermutigendes Ergebnis, dass sich weitere Anstrengungen in dieser Richtung lohnen (Abbildung 1).

Lehrende: Einschätzung zur Unterstützungsfunktion durch digitale Lernangebote

Abbildung 1: Frage:  Wenn Sie einmal Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen zum digitalen Lernen resümieren – wie bewerten Sie digitales Lernen? Bitte vergeben Sie einmal „Schulnoten“. Eine 1 bedeutet „stimme ich voll und ganz zu“, eine 6 heißt „stimme ich überhaupt nicht zu“. Die Werte dazwischen dienen der Abstufung. | Ausbildung:   n=224-257; Hochschule:   n=583-611; Schule:  n=520-535; Weiterbildung:   n=237-242 | Angaben in % | © mmb Institut GmbH 2018 (die Statements zu Benachteiligten waren im Fragebogen für Berufsschullehrer noch nicht enthalten)

Noch aber bleiben viele Potenziale digitaler Medien für die Unterstützung von Benachteiligten ungenutzt. Die Lehrenden im Sektor Schule (66%) und Weiterbildung (62%) sehen digitales Lernen vor allem als Instrument zur Förderung von leistungsstarken Lernenden. Weit weniger als die Hälfte der dort Lehrenden (Schule: 40%, Weiterbildung: 37%) kann sich vorstellen, dass digitale Medien auch leistungsschwache Lernende unterstützen können. Es gibt also noch viel zu tun, damit das Ideal individueller Förderung für alle mit digitaler Hilfe tatsächlich verwirklicht wird.Nicht so optimistisch hingegen sind die Lehrenden, was die digitale Förderung sozial benachteiligter Lernender betrifft. Hier liegt die Zustimmung zwischen 20 und 30 Prozent. Immerhin zeigen die Berufsschulen, dass man auch hier mit Maßnahmen wie der kostenlosen Bereitstellung von Geräten, Software und Lerninhalten einiges erreichen kann.

Die Ergebnisse aller Bildungssektoren im Vergleich finden Sie auf unserer Homepage.

Der Beitrag ist zuerst auf didacta Digital erschienen.