Die vergangenen Wochen waren insbesondere für Familien schwierig: Viele fanden sich von heute auf morgen, je nach Alter ihrer Kinder, mehr oder weniger intensiv im Spagat zwischen eigenen beruflichen Verpflichtungen (am Dienstort und/ oder im Homeoffice) auf der einen und der Begleitung ihrer Kinder durch den Tag samt Homeschooling auf der anderen Seite wieder. Eltern in systemrelevanten Berufen erhielten je nach Region einen Platz in der Notbetreuung für ihr Kind – auch das ein Spagat, denn das gesundheitliche Risiko für das Kind, die Reaktionen der Umgebung und die Belastung im eigenen Beruf summieren sich. Dazu kamen in vielen Familien akute Existenzängste auf Grund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation. So oder so: Die Folgen dieser multiplen Belastungen sind heute noch nicht absehbar, dauern nach wie vor an. Auch einige der aktuellen Studien und Umfragen rund um das Thema „Schule in Corona-Zeiten“ haben die familiäre Belastung und auch die Unsicherheit von Kindern und Jugendlichen selbst in den Blick genommen. Um die Ergebnisse geht es in unserem heutigen Blogbeitrag

Zwischen Beruf und Homeschooling: Eltern sind im Alltag stark belastet

Wirtschaftliche Sorgen begleiten Familien derzeit auf Schritt und Tritt: Eine aktuelle Elternumfrage der Vodafone-Stiftung[1] zeigt, dass 58 Prozent aller Familien aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation Existenzängste haben. Dabei spielt der eigene sozioökonomische Hintergrund eine große Rolle: Vor allem Eltern aus finanziell schwächer aufgestellten Familien sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder und fühlen sich auf die häusliche Unterstützung beim Lernen nicht gut vorbereitet. Fast die Hälfte aller Eltern hat Schwierigkeiten damit, ihr Kind angemessen zu unterstützen, 58 Prozent befürchten zugleich eine Verschlechterung der schulischen Leistungen. Dazu äußern mehr als die Hälfte die konkrete Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit dem Corona-Virus. Insgesamt sehen es zudem zum Zeitpunkt der Befragung fast drei Viertel der Eltern kritisch, wenn sie das Homeschooling über längere Zeit aufrechterhalten müssten. Inzwischen ist genau diese Situation eingetreten: Mindestens bis zu den Sommerferien sind Eltern – je nach Schulform und Schulstufe ihrer Kinder unterschiedlich stark – gefordert, ihre Kinder beim Lernen zu Hause zu unterstützen.
Das WZB[2] zeigt zudem anhand erster Auswertungen einer Onlinebefragung zum familiären Alltag zu Corona-Zeiten, dass Eltern deutlich seltener im selben Umfang arbeiten als kinderlose Personen. Vielmehr arbeiten sie – und hier vor allem Mütter – eher weniger oder sind gar nicht erwerbstätig. Damit einhergehend haben auch die finanziellen Sorgen bei Eltern im Vergleich zu kinderlosen Befragten stärker zugenommen. Und auch die Arbeitszufriedenheit von Eltern ist zurückgegangen, was an der Doppelbelastung aus Familie und Beruf liegen kann. Besonders gefragt sind zugleich Arbeitskräfte in systemrelevanten Berufen, insbesondere Frauen im Einzelhandel oder im Pflegebereich. Für diese Gruppe berichtet das WZB von einer eher zunehmenden Arbeitszeit im Vergleich zu Personen in nicht-systemrelevanten Berufen. Die Sorgen um Verlust des Arbeitsplatzes oder wirtschaftlicher Einbußen nahmen hier zwar weniger stark zu, zugleich fühlen sie sich von ihrem Arbeitgeber weniger unterstützt, als Personen in nicht-systemrelevanten Berufen. Hieraus entsteht eine weitere Belastung. Insgesamt befinden sich also Eltern – und hier Mütter stärker als Väter – in mehrfach prekären Situationen. Dies wirkt sich unmittelbar auf das familiäre Zusammenleben und damit auch auf die Lernsituation sowie die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Homeschooling bzw. auf die psychische Belastung aus.

Zwischen Zukunftssorgen und Familienstreit: Viele Kinder und Jugendliche sind verunsichert

Auch Kinder haben nun nicht nur schulische Aufgaben zu Hause zu bewältigen. Sie erleben die Belastung ihrer Eltern je nach individueller beruflicher Lage und Belastungssituation. Vor diesem Hintergrund erfolgt das Lernen unter veränderten Umständen. Darüber geben die aktuellen Studien keine Auskunft – es liegt allerdings auf der Hand, dass Kinder und Jugendliche – abhängig von der familiären Situation – über die Frage des Lernens hinaus viele Sorgen umtreiben. Was die Schulleistung selbst betrifft, blicken  laut einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)[3] fast die Hälfte aller Oberstufenschüler:innen mit großer oder sehr großer Sorge auf mögliche negative Auswirkungen der Schulschließungen auf den eigenen Lernerfolg. Diese Sorgen sind in der Gruppe der leistungsschwächeren Schüler:innen stärker verbreitet als in der Gruppe mit guten Schulleistungen.
Das Homeschooling ist in vielen Familien zudem ein Faktor, der zu Konflikten führt. So zeigt z. B. die Umfrage der Vodafone-Stiftung für 43 Prozent der Befragten, dass es aktuell zu mehr Streit in der Familie komme und dieser auf das Lernen zurückzuführen sei. Dispute entstehen dabei nach den Ergebnissen einer Sonderauswertung des SOEP[4] häufiger unter Geschwistern als mit den Eltern, und kommen in Mehrkindfamilien häufiger vor. Eine Mehrheit der befragten 12-Jährigen und eine deutliche Mehrheit der 14-Jährigen berichten zudem davon, von den Eltern „herumkommandiert“ zu werden. Gleichwohl gaben etwa drei Viertel der Befragten (anteilig mehr 12-Jährige als 14-Jährige) an, auf Zuwendung ihrer Eltern und auf deren Unterstützung bauen zu können.
Zwischen eigener familiärer Situation und Sorge um die Schulkinder: Auch Lehrkräfte üben den Spagat
Eine Lehrerumfrage der Vodafone-Stiftung[5] macht indes deutlich, dass sich ein gutes Drittel (34 %) der Lehrkräfte durch die besondere Situation und die daraus resultierenden Erwartungen und Anforderungen stärker belastet fühlt, als in normalen Zeiten. Gleichzeitig fühlen sich 36 Prozent der Befragten weniger belastet als sonst. Dies mag auch daran liegen, dass die Schulen unterschiedlich gut mit Konzepten ausgestattet sind, die auch in der aktuellen Krise funktionieren: Eine von drei Schulen (32 %) verfügte zum Zeitpunkt der Befragung über ein Gesamtkonzept, das auch bei einer Schließung das Lernen bzw. den Zugang zu Lernmaterialien für die Schüler:innen sichert, darunter eher die weiterführenden Schulen als die Grundschulen. Im Falle der Schulen, die nicht über ein solches Konzept verfügen, koordinieren sich rund 40 Prozent der Lehrkräfte mit ihren Kolleg:innen, 24 Prozent sind hingegen bei der Planung der Lernangebote auf sich alleine gestellt. Am häufigsten als Druck empfunden werden zudem die Rückmeldungen der Schüler:innen sowie die eigene Arbeitsorganisation, vier von zehn Lehrkräften nehmen den Umgang mit der Technik als belastend war. Vor allem Grundschullehrerinnen und -lehrer bezeichnen auch die Kommunikation mit den Eltern derzeit als besonders herausfordernd.
Gut stellt sich aus Sicht vieler Lehrkräfte indes der Zusammenhalt in den Schulen dar: Drei Viertel der Lehrkräfte fühlen sich durch Kolleg:innen gut unterstützt, 63 Prozent sagen dasselbe über ihre Schulleitung. Gleichzeitig wünscht sich ein Drittel mehr Unterstützung durch die Schulleitung, 38 Prozent fühlen sich nicht gut von den Schulbehörden und dem Ministerium auf dem Laufenden gehalten – dies gilt in stärkerem Maße für die weiterführenden Schulen.
Etwa ein Viertel der Lehrkräfte (26 %) ist sich darüber bewusst, dass ihre (digitalen) Lernangebote ihre Schüler:innen nicht problemlos erreichen. Viele vermuten eine mangelnde technische Ausstattung in den Familien und sind sich außerdem darüber im Klaren, dass der Einfluss des Elternhauses auf das Lernen der Schüler:innen und damit auch das Risiko einer wachsenden sozialen Ungleichheit größer geworden sind. Diese Sorge begleitet 51 Prozent aller Befragten, vor allem aber zwei Drittel aller Grundschullehrer:innen. Vermutlich auch darum hat die große Mehrheit ihre (Leistungs-)Erwartungen an die Kinder und Jugendlichen deutlich gesenkt: Für 45 Prozent ist es in Ordnung, langsamer als sonst mit dem Lernstoff voranzukommen, ein gutes Drittel fokussiert sich darauf, den Lernstand zur Zeit vor der Schulschließung zu halten.
Es braucht mehr als eine reine Materialversorgung
Erneut zeigen die Ergebnisse zur Belastungssituation von Familien, Schüler:innen und Lehrkräften, wie wichtig es ist, dass Schulen nicht nur Lehrmaterialien bereitstellen, sondern auch verstärkt in Interaktion mit den Jugendlichen treten sollten. Dabei kommt es dann nicht nur auf inhaltliche Erläuterungen oder die Kontrolle von Lernerfolgen an. Es geht auch darum, Klarheit über die Ansprüche zu schaffen, um Schüler:innen Sorgen um ihre Schulleistungen zu nehmen. Darüber hinaus gilt es, die Situation von Elternhäusern zu erkennen, die Motivation gerade der leistungsschwächeren und der weniger engagierten Schüler:innen zu erhöhen und individuelle Angebote zum Lernen zu machen.
Die Ergebnisse unterstreichen darüber hinaus sehr deutlich: Es kann in dieser Zeit nicht ausschließlich darum gehen, sich auf das Homeschooling der Kinder und Jugendlichen zu konzentrieren. Vielmehr braucht es vielfältige Unterstützungsangebote für die Kinder und die Familien. Lehrkräfte alleine können die unterschiedlichen Problemlagen nicht lösen – und dennoch kommt den Schulen eine wichtige Rolle zu. Lehrkräfte brauchen intensive Unterstützung technischer Art, um den direkten Kontakt zu ihren Schülern halten zu können und auch das Ohr am Gleis zu haben, wenn in der Familie etwas schiefläuft. Schulsozialarbeiter werden als Ansprechpartner für Familien und Kinder ebenfalls dringend gebraucht, um bei Sorgen und Ängsten dazu sein. Die pädagogischen Kräfte im Ganztag könnten eine wichtige Rolle einnehmen, indem auch sie per Video oder auf Plattformen Angebote für die Schüler:innen bereitstellen, die zum einen auf den sozialen Zusammenhalt abzielen und zum anderen kreative Anregungen für den Alltag zu Hause bereithalten: So ist es denkbar, dass sie einen kleinen Film aus der Notbetreuung zu den Kindern nach Hause schicken, einen Podcast aufnehmen, Basteltipps geben, eine Telefonkonferenz anregen oder ähnliches. Digitalisierung von Schule ist eben sehr viel mehr, als Unterrichtsmaterial zu verschicken.
Zuletzt darf nicht vergessen werden, dass Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte ebenfalls Familien haben und im privaten Raum mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, wie jede andere Familie. Auch sie brauchen Unterstützung – und diese wünschen sich einige von ihren Dienstherren.

[1] https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/04/Vodafone-Stiftung-Deutschland_Studie_Unter_Druck.pdf – Elternbefragung im Zeitraum vom 03. bis 13. April 2020
[2] https://www.wzb.eu/de/forschung/dynamiken-sozialer-ungleichheiten/arbeit-und-fuersorge/corona-alltag (Ergebnisse aus der ersten Welle – nicht-repräsentative Umfrage ab dem 23.März)
[3] www.iab.de/forum/schulschliessungen-wegen-corona, Datenerhebung: 24. März bis 6. April
[4] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2020/IW-Report_2020_Haeusliche_Lebenswelten_Kinder.pdf
[5] https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/05/Vodafone-Stiftung-Deutschland_Studie_Schule_auf_Distanz.pdf Lehrerbefragung im Zeitraum vom 02. bis 12. April 2020