Mit dem 5,5 Milliarden Euro schweren DigitalPakt Schule ist auch das Thema Medienbildung ins politische Rampenlicht geraten. Die aktuellen Investitionen sollen die Grundlage für einen souveränen Umgang der Schülerinnen und Schüler mit digitalen Medien legen. Andere Zielgruppen mit vergleichbaren Bedarfen stehen hingegen zurzeit nicht im Blickfeld. Hierzu gehören Menschen mit geringer Literalität, also Personen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können. In Deutschland zählen allein 6,2 Millionen Menschen zu dieser Zielgruppe – zum Vergleich: Hierzulande besuchen 8,3 Millionen Schülerinnen und Schüler eine allgemeinbildende Schule.

„Doch für die Gruppe der Menschen mit geringer Literalität wird kein einziger Euro zusätzlich ausgegeben, um deren Mediengrundbildung zu verbessern“, beklagt Carsten Meyer, stellvertretender Vorsitzender des Niedersächsischen Bundes für freie Erwachsenenbildung (nbeb e.V.) – eines Verbands, dem sehr an der Grundbildung von funktionalen Analphabeten gelegen ist. Dabei haben gerade sie die sogenannte „Mediengrundbildung“ besonders nötig. Viele von ihnen haben nicht nur große Probleme beim Lesen eines Beipackzettels für ein Medikament, sondern auch beim Online-Banking oder bei der Recherche im Internet.

Wer schlecht lesen und schreiben kann, hält sich auch digital zurück

Die Studie LEO 2018 untermauert diese geringe Medienkompetenz durch belastbare Zahlen. Befragt wurden hierfür in mündlich-persönlichen Interviews 6.681 repräsentativ ausgewählte Personen (Bevölkerungsquerschnitt). Sie wurde durch eine Zusatzstichprobe von 511 Personen im unteren Bildungsbereich ergänzt. Die Studie, die eine Erhebung aus dem Jahr 2010 fortschreibt, hat u.a. das Ziel, die Teilhabe, Alltagspraktiken und Kompetenzen in verschiedenen Lebensbereichen auszuloten, auch im Umgang mit digitalen Medien und Geräten.

Das zentrale Ergebnis der LEO 2018-Studie ist zumindest in der Tendenz erfreulich: Wurden 2010 noch 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland zu den Menschen mit geringer Literalität gerechnet , so gilt dies heute nur noch für 6,2 Millionen (12,1 % der erwachsenen Bevölkerung mit Level 1 bis 3, siehe Tabelle). Dieser positive Effekt ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ältere Menschen mit einer geringen Schulbildung sterben, während mehr junge Erwachsene hinzukommen, die in der Schule eine bessere Basisqualifikation erworben haben. Es ist hingegen nicht erkennbar, dass sich die Zahl der Erwachsenen mit geringer Literalität durch Fortbildungen dieser Gruppe nennenswert verringert hat.

Abbildung 1: Verteilung der Literalität in der Bevölkerung. Quelle: Quelle: Universität Hamburg, LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität. Basis: Deutsch sprechende Erwachsene (18-64 Jahre), n=7.192, gewichtet.

Wie macht sich eine geringe Literalität im Alltag beim Umgang mit Medien bemerkbar? Für die persönliche Mobilität stellt sich zum Beispiel die Frage, wie man sich Fahrkarten für den Öffentlichen Nahverkehr kauft. Hier präferieren gering literalisierte Erwachsene („Alpha 1 bis 3“) eher den Kauf im Verkehrsmittel selbst (22%) als Menschen mit guten Lese- und Schreibkompetenzen („über Alpha 4“: 14%), während es sich bei digitalen Ticketkäufen genau andersherum verhält (7% vs. 20%). Seltener ist bei gering literalisierten Erwachsenen auch die Nutzung von Internet-Tools für die Recherche von Adressen oder Wegbeschreibungen (37% vs. 44%). Gleiches gilt für die Informationssuche bei Themen wie Gesundheit, Hobby oder Erziehung (42% vs. 50%).

Weiterhin bestätigt sich, dass Menschen mit geringer Literalität auch im digitalen Umfeld deutlich seltener schriftliche Kommunikationsmittel verwenden. Dies gilt beispielsweise für das regelmäßige Schreiben von E-Mails (36% für „Alpha 1 bis 3“ vs. 72% für „über Alpha 4“), aber auch für das Schreiben von Kurznachrichten (z. B. WhatsApp oder SMS, 70% vs. 90%). Vergleichsweise häufig genutzt werden hingegen mündliche Formen der Kommunikation wie Sprachnachrichten oder Videotelefonie.

Abbildung 2: Verteilung der Literalität in der Bevölkerung. Quelle: Grotlüschen et. al. (2019) , S. 32.


Digitale Grundbildung für gesellschaftliche Teilhabe

Betroffene bestätigen, dass sie sehr darunter leiden, ihre geringe Lese- und Schreibkompetenz vor Freunden und Kollegen zu verbergen. In vielerlei Beziehung fühlen sie sich „vom Leben abgehängt“. Der Besuch eines „Alpha-Kurses“ bedeutet für sie, eine große Hemmschwelle zu überwinden. Dabei haben viele Träger der Erwachsenenbildung etablierte Angebote zum Thema „Grundbildung“ im Portfolio. Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung führt in seiner Datenbank 1.134 Bildungsinstitutionen, die auf diesem Gebiet aktiv sind. Es existieren auch verschiedene digitale Angebote wie das Volkshochschul-Lernportal „Schreiben, Lesen, Rechnen“, die sowohl Selbstlernen ermöglichen als auch in Präsenzkurse integriert werden können.

Hier lohnt sich erstens, noch intensiver darüber nachzudenken, wie der Zugang zu Grundbildungsangeboten auch digital – und damit niedrigschwellig – verbessert werden kann. Und zweitens gilt es, neben Lesen und Schreiben auch die Vermittlung digitaler Grundfertigkeiten systematisch in solche Schulungen zu integrieren. Auch sie sind heutzutage unverzichtbare Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen.