Damit zukünftige Lehrkräfte den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden können, muss sich die Lehrkräftebildung auch inhaltlich-didaktisch verändern. Räumlichkeiten, die diese neuen Voraussetzungen mitdenken und in denen die Verknüpfung des Erwerbs von theoretischem Wissen und praktischen Handlungskompetenzen zukunftsorientiert gelingen kann, können dabei eine wichtige Rolle spielen. Der folgende Text stellt beispielhaft das Klassenzimmer und das Lehrer:innenzimmer der Zukunft als Modellversuche der Universität Passau vor. 

Moderne Seminarräume mit Blick auf die spezifischen Herausforderungen von Lehrpersonen 

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Lehrwerkstätten, digitalen Laboren, Lehr-Lern-Laboren oder Pädagogischen Werkstätten, deren Aufgabe die Verbesserung des Theorie-Praxis-Bezugs in der Lehrkräftebildung ist. An der Universität Passau heißen diese Räume „Didaktische Innovationslabore“, abgekürzt DiLabs. Ihre zentralen Einrichtungen sind das „Klassenzimmer der Zukunft“ (im Folgenden „Klassenzimmer“) und das „Lehrer:innenzimmer der Zukunft“ (im Folgenden „Lehrer:innenzimmer“). Diese beiden Räume werden von einer steigenden Zahl kleinerer Labore mit spezifischen Schwerpunkten ergänzt, in denen beispielsweise Möglichkeiten zum kollaborativen Arbeiten, der Medien- oder Filmproduktion sowie der Entwicklung von Open Educational Resources im Zentrum stehen.  

Das Klassenzimmer und das Lehrer:innenzimmer stellen einerseits moderne Seminarräume dar, in denen die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens und der Erwerb praktischer Handlungskompetenzen als zukünftige Lehrpersonen aufeinander bezogen werden sollen. Andererseits sind sie ein Ort der hochschuldidaktischen Innovation: Es geht in diesen Räumen auch darum, tradierte Vorstellungen von Lehre an der Universität zu überwinden und neue, evidenzbasierte Formate einzuführen. Sie sind zudem Forschungsräume und dienen darüber hinaus im Austausch mit Schulen als Diskussionsorte für eine Veränderung von Schulkultur.

Die Potenziale und Herausforderungen der Digitalisierung nehmen bei der Gestaltung der Räumlichkeiten entsprechend der Anforderungen der Praxis eine zentrale Rolle ein. Darüber hinaus bildet sich auch die veränderte Rolle von Lehrpersonen und damit verbunden die große Bedeutung einer ausgeprägten MedienLiteracy sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden in den Seminarräumen ab. Diese Aspekte sollen dabei nicht als Selbstzweck ins Zentrum der Lehrkräftebildung gestellt werden, denn ein kompetenter und informierter Umgang mit der Kultur der Digitalität kann nicht isoliert betrachtet werden. Um selbstständig handelnd Informationen zu finden, auszuwählen, zu beurteilen, zu nutzen und selbst zu produzieren, sind die Räume also darauf ausgelegt, entsprechende Handlungen in die Lehre einzubauen und sie mit den Fach- und Sachthemen zu verknüpfen.  

Die DiLabs sollen durch ihre Schwerpunkte als Orte dienen, in denen Studierende Handlungskonzepte entwickeln und einüben können, die an diesen Verbindungen arbeiten. Gerade das Klassenzimmer und das Lehrer:innenzimmer stehen symbolisch für die beiden zentralen Handlungsfelder von Lehrpersonen: Lernprozesse werden im Klassenzimmer fokussiert, die Planung und Analyse von Lehrprozessen hingegen im Lehrer:innenzimmer. Gemeinsam unterstützen die beiden Räume die Planung, Organisation und Evaluation von selbstgesteuerten und kooperativen Lehr-Lern-Prozessen und zielen auf die Etablierung einer Innovationskultur, die bei Studierenden auch eine Haltungsänderung für ihre zukünftige Unterrichtspraxis anregen soll.  

Gemeinsam ist allen unseren Innovationslaboren, dass sie hochgradig vielfältig und individualisierbar sind: Flexibles Mobiliar, eine Vielzahl analoger und digitaler Präsentations- und Arbeitsflächen an den Wänden sowie eine moderne Medienausstattung machen die Räume adaptierbar an die Erfordernisse moderner Lehre als auch unterrichtsbezogener Forschung und lassen sich schnell umbauen. Das Klassenzimmer, das in dieser virtuellen Tour vorgestellt wird, setzt dabei einen Schwerpunkt auf individualisierende und kooperative Arbeitsformen. Ein Stationenkonzept greift verschiedene digital gestützte Szenarien im Kontext individualisierender Lehr-Lernumgebungen auf und öffnet den Blick für Studierende und im Rahmen von Fortbildungen auch für Lehrpersonen hinsichtlich technischer und auf das eigene Unterrichtsfach bezogener Perspektiven. Das Lehrer:innenzimmer orientiert sich dagegen am Konzept von Coworking-Spaces und entwickelt Antworten auf die Frage, wie wir uns die Arbeit von Lehrpersonen in der Zukunft vorstellen: kooperativ, vernetzt und flexibel. Der Raum wird in dieser virtuellen Tour vorgestellt und bietet Optionen für die gemeinsame und vernetzte Planung, Produktion und Reflexion von Lehr- und Lernmedien. 

Verzahnung unterrichtsfachlicher, pädagogischer und technologischer Werkzeuge 

Die Entwicklung pädagogischer Handlungskonzepte in den DiLabs stützt sich auf das TPACK-Modell, dem zufolge sich pädagogische Handlungskompetenz aus drei Wissensbereichen aufbaut, die sich immer wieder überlappen: Unterrichtsfachliches, pädagogisches sowie technologisches Wissen. Diese Bereiche treten im unterrichtlichen Handeln in der Regel im Zusammenspiel auf und entsprechend sollten auch alle drei Aspekte von Beginn an in der Lehrkräftebildung adressiert werden. Um dies mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn die Kompetenz der KMK-Standards „Digitale Werkzeuge bei der gemeinsamen Erarbeitung von Dokumenten nutzen“ das Ziel einer oder mehrerer Unterrichtseinheiten sein soll, reicht es nicht, als Lehrkraft entsprechende Plattformen zu kennen und zu empfehlen. Es müssen auch – neben datenschutz- und anwendungstechnischen Grundfragen – Konzepte zum kooperativen Arbeiten in Teams entwickelt und vermittelt sowie sachanalytische und mediendidaktische Fragen zur Anwendung verschiedener Typen von Kollaborationsformen beantwortet werden:  

  • Bei welchen Themen meines Fachs eignet sich eine Mind-Map bzw. eine Concept Map und was sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Formaten?  
  • Wann ist es besser, auf kollaborative Word-Dokumente zu setzen und welche Vor- bzw. Nachteile bieten hier Etherpads?  
  • Gibt es neben den Angeboten der Branchenriesen wie Google und Microsoft Alternativen und welche Voraussetzungen schafft die individuelle Schulstruktur?  
  • Wie können im Unterricht mehrere dieser Plattformen kombiniert werden, welche kollaborativen Arbeitsformen sollten die Schüler:innen hier kennen und wie können entsprechende Unterrichtseinheiten schrittweise aufgebaut werden? 

Die drei Wissensbereiche spielen bei diesen Fragen immer wieder zusammen. Entsprechend ist ein Verständnis der Schnittstellen zwischen Fach(-didaktik), Pädagogik und Technik unseres Erachtens für eine produktive Verbindung von Theorie und Praxis unerlässlich. Für Lehrerbildende entsteht daraus der praktische Hinweis, sich dieser Komplexität selbst bewusst zu werden und auf Wissensverbindungen dieser Art in ihrer Lehre beständig hinzuweisen. Dies ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, wie fragmentiert das Lehramtsstudium mit seinen vielen oft unabhängig voneinander gelehrten Disziplinen konzipiert ist und wahrgenommen wird.  

Lehre und Lernen im Kontext zukunftsgerichteter Räumlichkeiten und Handlungskonzepte 

Wie könnte nun ein Lehr-Lern-Setting in einem dieser Räume aussehen? Im Rahmen der durch die Bund-Länder-Initiative „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ geförderten Projekte SKILL und SKILL.de wurden Seminarkonzepte entwickelt, in denen verschiedene Wissensdomänen aus dem TPACK Modell explizit verzahnt thematisiert wurden, um die Überschneidungen und Zusammenhänge deutlicher zu machen. Als Beispiel kann hier ein Seminar aus der Deutschdidaktik dienen, bei dem digitalisierungsbezogene und deutschdidaktische Kompetenzerwerbsprozesse im Fokus standen. Die Seminardokumentation wurde auf dem DiLab-Blog veröffentlicht. Die Studierenden entwickelten hier multimediale Unterrichtsmaterialien, die in digitaler Form aufbereitet wurden. Darüber hinaus konnten die Studierenden diese Unterrichtsmedien in Schulklassen einsetzen, mit Lehrkräften diskutieren und im Austausch reflektieren. 

Das Klassen- und Lehrer:innenzimmer wurden durch Fördermittel des Bundes (Bund-Länder-Initiative „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“) und des Landes (Bayern Digital II) ermöglicht.