Über welche Kompetenzen sollen Lehrkräfte verfügen? Wie lassen sich diese prüfen und sicherstellen? Die Wissenschaft hat sich dieser Frage wiederholt mit Blick auf die Wissensdomäne in der Lehrkräftebildung genähert (beispielsweise TEDS-M, MT21, KiL, etc.), da dieses Feld am einfachsten zu messen ist. Aber auch die Frage, welche darüber hinausreichenden Kompetenzen wie und in welcher Form vorliegen sollten, wurde bereits in unterschiedlichen Modellen festgeschrieben.

Es finden sich umfassende Kompetenzkataloge, seien es die von den Bildungs- und Erziehungszielen der Länder abgeleiteten KMK-Standards oder die gesamteuropäisch gedachten, auf Digitalisierung bezogenen Kompetenzen des Digi.Comp.Edu-Modells. Unterschiedliche Länder formulieren ihre eigenen Kompetenzstandards, zum Teil – wie die österreichischen Kompetenzmodellierungen – auch in gestufter Form.

Doch alle diese Kompetenzmodelle haben aus unserer Sicht ein Problem in der Anwendung: Sie beschreiben die Kompetenzerwartung an fertige Lehrkräfte, also den Endzustand eines Bildungsprozesses. Für Studierende und Lehrkräfte in deren Betreuung und Beratung sowie für Referendare, Referendarinnen und Seminarlehrkräfte stellt sich damit sofort die Frage: Was sollen denn nun Studierende beispielsweise nach dem dritten Semester können? Welche Anforderungen kann ich an Referendare und Referendarinnen stellen? Und daran schließt sich die entscheidende Frage an: Wie kann ich diese Kompetenzen in ihrer Performativität wahrnehmen? Die Passauer Standards für die Lehrkräftebildung stellen einen Versuch dar, ein Instrument für diese Fragen zur Verfügung zu stellen.

 

Indikatoren für den Kompetenzerwerb über sämtliche Phasen der Lehrkräftebildung

Kompetenzen entwickeln sich nicht plötzlich, sondern schrittweise im handelnden Umgang mit Wissen, in unterschiedlichen Situationen mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden. Entsprechend schwierig ist es, von der Handlung eines sich noch mitten im Kompetenzerwerb befindenden Lernenden auf eine Kompetenzbeschreibung zu schließen, die bereits den Zielzustand beschreibt.

Als Beispiel soll uns eine Lehrkraft dienen, die eine Studierende im ersten Praktikum betreut. Zwar findet sich in den KMK-Standards die Formulierung, dass Studierende am Ende der ersten Phase der Lehrkräftebildung „allgemeine und fachbezogene Didaktiken [kennen] und wissen [sollen], was bei der Planung von Unterrichtseinheiten auch in leistungsheterogenen Gruppen beachtet werden muss“ (KMK, 2014 i.d.F. 2019, S. 7). Doch wie kann diese Formulierung auf eine Studierende angewandt werden, die sich noch mitten im Studium befindet, welche Messlatte wird angelegt? Konkret gedacht: Woran kann ich als beratende Lehrkraft erkennen, dass diese angesprochenen allgemeinen und fachbezogenen didaktischen Kenntnisse in einem für diese Ausbildungsphase angemessenen Ausmaß berücksichtigt wurden? Und: Wie kann die Studierende ihren aktuellen Kompetenzstand selbst reflektieren und einschätzen?

An der Universität Passau hat sich aufgrund dieser Fragestellungen eine Arbeitsgruppe gebildet, die aus Hochschullehrenden (Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken), Seminarlehrkräften und Verantwortlichen der Schulaufsicht besteht. Ziel der Arbeit dieser Gruppe war erstens die Entwicklung von Standards, die Kompetenzerwartungen stufenweise und spiralcurricular über alle Phasen der Lehrkräftebildung hinweg beschreiben. Dafür wurden – vom Modell der bayrischen Lehrkräftebildung ausgehend – vier Stufen definiert, wobei sich die ersten beiden Stufen an den aufeinander aufbauenden Praktika orientieren und die universitäre Phase des Lehramtsstudiums umfassen, während Stufe 3 (Referendariat) und Stufe 4 (fertig ausgebildete Lehrkraft) die II. und III. Phase umschreiben.

Zweitens sollten diese Standards dann auch mit Indikatoren verknüpft werden, die exemplarisch das Erreichen eines solchen Standards umschreiben. Die entwickelten Passauer Standards für die Lehrkräftebildung stützen sich dabei auf verschiedene Qualitätsdimensionen, die sich in der empirischen Unterrichtsforschung als maßgeblich für Unterrichtsqualität erwiesen haben, beispielsweise die Klassenführung, und ergänzen sie um die wichtige Dimension der Rolle der Lehrkraft, die vor allem auch den Praktikerinnen und Praktikern wichtig war.

In der Arbeit der Gruppe wurde dann ein Kompetenzstandard für die fertige Lehrkraft definiert und von dort aus „rückwärts“ gedacht: In welcher Ausprägung kann eine solche Kompetenz bei Referendarinnen und Referendaren angelegt werden, was würden Vertreterinnen und Vertreter der II. Phase – beispielsweise Seminarlehrkräfte – hier voraussetzen? Was ist in der universitären Phase zu erwarten und inwiefern spielen fachdidaktische Modelle bereits im ersten Praktikum eine Rolle, wenn noch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Studierenden hier bereits entsprechende Veranstaltungen belegt haben. Und schließlich natürlich die Frage, wie sich solche Kompetenzen sichtbar manifestieren. Um auf unser vorheriges Beispiel zurückzukommen, finden sich für die Dimension „Gestaltung von Lernumgebungen (LU)“ im Praktikum nun zwei Standardformulierungen mit beispielhaften Indikatoren:

 

Erstes Praktikum (in Bayern: Pädagogisch-Didaktisches Praktikum, ca. 3. Semester); Studierende haben hier erziehungswissenschaftliche Grundlagen erworben und eventuell schon erste Veranstaltungen in der Fachdidaktik absolviert.  

Zweites Praktikum (in Bayern: Studienbegleitendes fachdidaktisches Praktikum, ca. 5. Semester); Studierende haben hier sowohl erziehungswissenschaftliche als auch fachdidaktische Grundlagen erworben und das erziehungswissenschaftliche Studium zum Teil bereits komplett abgeschlossen.  

Die Frage der Digitalisierung

Beide Standardformulierungen zeigen einen konkreten Verweis auf den Umgang mit digitalen Medien. Dies basiert auf einer Grundsatzentscheidung der Arbeitsgruppe, dass die Rolle der Digitalisierung nicht als einzelne Dimension in den Standards gespiegelt werden kann, beispielsweise auf einer Ebene mit der Dimension „Unterrichtsgestaltung“ oder einer Subdimension wie der „Gestaltung von Lernumgebungen“. Digitalisierung ist eine Querschnittsdimension, die alle Bereiche der Arbeit von Lehrkräften betrifft, von der Schulentwicklung über die Veränderung der eigenen Rolle hin zur Unterrichtsgestaltung, und hier zuvorderst natürlich auch der Dimension des Medieneinsatzes. Entsprechend finden sich Formulierungen, die die Veränderungen durch die Kultur der Digitalität berücksichtigen, in vielen Kompetenzbeschreibungen.

 

Die Standards konkret – Einsatz und Einschränkungen

Die Passauer Standards sollen als Beratungs- und Selbsteinschätzungsinstrument verstanden sein. Kompetenzformulierungen und Indikatoren sind nicht validiert und sollen es auch nicht werden. Uns war es wichtig, praktisch Handelnden ein Reflexionsinstrument an die Hand zu geben, welches eine gemeinsame Grundlage für Gespräche und Diskussionen bieten und Studierenden als Instrument zur Selbsteinschätzung und Planung des eigenen Bildungsverlaufs dienen kann.

Vor allem aber sind sie nicht als ein Instrument gedacht, das Studierenden vor Beginn ihres Studiums bereits die Rückmeldung geben kann, ob sie für das Lehramt geeignet sind oder nicht; die Dimensionen definieren Kompetenzen, die man im Laufe des Studiums erwerben kann und berücksichtigen eben genau diesen schrittweisen Erwerbsprozess. Auf der anderen Seite zeigen sie aber sehr deutlich und konkret auf, wie vielfältig, komplex und herausfordernd die Tätigkeit als Lehrkraft ist. Sie machen verständlich, welche Anforderungen zusammenwirken und welche Elemente dazu beitragen, gelingende Lehr-Lernprozesse zu planen, zu organisieren und zu evaluieren. In dieser Form können die Standards auch als Grundlage für berufsbiographische und karrierebezogene Reflexionen dienen, da sie dabei helfen können, ein Anforderungsfeld transparenter zu beschreiben.

An der Universität Passau werden diese Standards beispielsweise in der Begleitung und Reflexion der Praktika eingesetzt. In praktikumsbegleitenden Portfolios werden Studierende angeleitet, mit diesen Standards zu arbeiten, den Unterricht von Lehrkräften kriteriengeleitet zu beobachten und den eigenen Unterricht entsprechend der Kompetenzdimensionen zu reflektieren. Sie können weiterhin von den betreuenden Lehrkräften als Grundlage für Beratungsgespräche herangezogen werden und in gemeinsamer Absprache können einzelne Dimensionen in der Arbeit exemplarisch fokussiert werden.

Die Standards für die Lehrkräftebildung finden sich auf den Seiten der Universität Passau in verschiedenen Formen: einerseits organisiert nach Dimensionen, die die Kompetenzen in jeweils einem thematischen Bereich fokussiert aufzeigen, andererseits organisiert nach einzelnen Phasen. Dies hat für Studierende, Referendare und Referendarinnen sowie für Lehrkräfte den Vorteil, dass sie sich die Standards auch bezogen auf ihre jeweilige Bildungsphase ausdrucken können.

 


Empfohlene Literatur 

Mägdefrau, J., & Birnkammerer, H. (2022). Gestufte Standards für die Entwicklung von Kompetenzen in der Lehrerbildung. Sonderausgabe. PAradigma: Beiträge aus Forschung und Lehre aus dem Zentrum für Lehrerbildung und Fachdidaktik, 10, 7–91. https://doi.org/10.15475/paradigma.2020.1 (Original work published 26. August 2020)

KMK (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019). Sekretariat der Kultusministerkonferenz Berlin / Bonn. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf