Mit ihrer Stellungnahme zum Lehrkräftemangel springt die Ständige Wissenschaftliche Kommission zu kurz. Statt innovative Impulse zu setzen, nimmt sie die vielfach schon am Limit arbeitenden Lehrkräfte noch stärker in die Pflicht. Statt die Bildungspolitik wie erhofft voranzutreiben, verharrt die Kommission in alten Denkmustern. Damit verschenkt sie ihr Potenzial.  

Was machen Sie, wenn der Akku Ihres Smartphones zur Neige geht und Sie unbedingt erreichbar sein müssen? Klar, Sie laden ihn auf. Ist kein Ladegerät zur Hand, entlasten Sie ihn, indem Sie alle überflüssigen Anwendungen beenden. Was Sie sicher nicht machen: Alle Apps laufen lassen, die Kamera öffnen und die Navi-Funktion starten.

Dennoch laufen die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) aus der vergangenen Woche genau darauf hinaus. Die vorhandenen Lehrkräfte sollen mehr arbeiten, um den massiven Lehrkräftemangel zu kompensieren. Durch noch höhere Arbeitsbelastung und Einschnitte in die persönliche Lebensplanung sollen sie die Versäumnisse der Bildungspolitik ausbügeln.

 

Inhaltlich unter den Möglichkeiten geblieben

Nicht nur kommunikativ wäre es klüger gewesen, weniger auf die Leistungsreserven der Lehrerschaft zu fokussieren. Die SWK ist vor allem inhaltlich unter ihren Möglichkeiten geblieben. Natürlich ist es Konsens, dass die Lage so schnell wie möglich verbessert werden muss. Das erfordert auch weitere Anstrengungen des vorhandenen Personals, bevor strukturelle Maßnahmen greifen können. Neue Lehrkräfte stehen schließlich nicht auf der Straße, sondern müssen ausgebildet werden.

Doch gerade hier bleibt die SWK überzeugende Antworten schuldig. Die kurzfristigen „Feuerwehr“-Maßnahmen hätten in ein mittel- bis langfristiges Konzept zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs eingebettet werden müssen. Genau dies hätte den ausgezehrten Kräften im System eine Perspektive und Motivation zum Durchhalten gegeben. Der Ruf nach zusätzlichem Verwaltungspersonal für die Schulen, so richtig er ist, reicht längst nicht aus. Die Empfehlungen zur Gesundheitsförderung wirken ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept leider zynisch: Die einzelne Lehrkraft soll fit bleiben, um noch mehr leisten zu können, während die strukturellen Probleme unangetastet bleiben.

 

Kein „Weiter so“ in der alten Logik

Wo bleiben konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen; zur dringend notwendigen Entschlackung der Curricula; wenn wir schon dabei sind: zu völlig neuen Prüfungs- und Arbeitszeitmodellen?

Die SWK verharrt in bestehenden Denkmustern und rührt an keiner Stelle an wirklichen Tabus – außer bei der Arbeitsbelastung des Personals. Damit hat das Gremium vor allem den Schülerinnen und Schülern einen Bärendienst erwiesen. Sie und ihre Lehrerinnen und Lehrer hätten tragfähige Vorschläge gebraucht, die auf eine Transformation unserer bisherigen Lernkultur zielen – und nicht auf ein ‚Weiter so‘ in der alten Logik, und das unter maximaler Belastung.

Als die SWK vor ziemlich genau zwei Jahren ihre Arbeit aufnahm, war damit die Hoffnung verbunden, dass sie die (Bildungs-)Politik unideologisch – weil evidenzbasiert – vorantreibt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten der KMK Hausaufgaben aufgeben und diese streng kontrollieren. Es folgten fundierte Stellungnahmen und Gutachten, unter anderem zur Digitalisierung und zur Weiterentwicklung der Grundschule. Doch das aktuelle Papier wird den selbstgesteckten Ansprüchen nicht gerecht.

Für die Politik sollte die SWK wie ein Kaktus sein – einerseits ein wertvoller Speicher von Nährstoffen (vulgo Reformideen), andererseits ein stabiler und zuweilen unbequemer Begleiter, dessen Stacheln im richtigen Moment Wirkung zeigen. Der Eindruck, die Kommission werde von der Bildungspolitik benutzt, um unpopuläre Maßnahmen wissenschaftlich abzusegnen, wäre fatal.

Die SWK kann eine entscheidende Rolle bei der herbeigesehnten Transformation unseres schulischen Bildungssystems spielen. Dazu muss sie ihr Potenzial aber mutig und mit der gebotenen Distanz zum politischen Geschäft ausschöpfen.

 

Der Beitrag ist zuerst als Gastbeitrag bei Bildung.Table – dem Professional Briefing für Bildungs-Politik, -Strategie und -Forschung – erschienen.