Der Lehrkräftemangel in Deutschland ist allgegenwärtig. Als Gegenmaßnahmen werden insbesondere die Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials an qualifizierten Lehrkräften, die Gewinnung von zusätzlichen Lehrkräften sowie Maßnahmen zur Senkung des Lehrkräftebedarfs diskutiert (SWK, 2023) und teilweise auch schon umgesetzt. Dass angehende Lehrkräfte die Lehramtsausbildung verlassen, folglich dem System Schule nicht zur Verfügung stehen und damit zur weiteren Verschärfung des Lehrkräftemangels beitragen, spielt in der aktuellen Diskussion nur eine randständige Rolle. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Datenlage und zeigt bestehende Leerstellen auf.

 

Wer ein Lehramtsstudium beginnt, wird Lehrkraft?

Die Mehrheit derjenigen, die ein Lehramtsstudium beginnen, verfolgen in der Regel ein klares Ziel: Die Einstellung in den Schuldienst als Lehrerin oder Lehrer. Allerdings geht ein nicht unerheblicher Anteil an angehenden Lehrkräften im Verlauf des Studiums verloren, wenn Lehramtsstudierende die Universität ohne Abschluss verlassen (Studienabbruch) oder in ein nicht-lehramtsbezogenes Studium wechseln (Studienwechsel).

Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) ermittelt alle zwei Jahre deutschlandweit die Studienabbruchquoten auf Basis der Daten der amtlichen Hochschulstatistik. In den Lehramtsstudiengängen liegt die Studienabbruchquote demnach bei 10 Prozent im Bachelor, 16 Prozent im Master bzw. in nicht gestuften Lehramtsstudiengängen mit Abschluss Staatsexamen bei 10 Prozent (Heublein et al., 2022) – im Vergleich zu anderen Fächern an Universitäten sind diese Quoten gering. Allerdings wird das hier verwendete Kohortenvergleichsverfahren, in dem Absolventinnen- und Absolventenzahlen mit den Studienanfängerinnen- und -anfängerkohorten in Bezug gesetzt werden, als ungenau erachtet, da keine realen Studienverläufe nachgezeichnet werden (Güldener et al., 2019). Die Auswertung von Studienverlaufsdaten ermöglicht es hingegen, individuelle Studienverläufe von Lehramtsstudierenden abzubilden: So konnten Güldener et al. (2020) auf Basis von Verwaltungsdaten der beiden Universitäten Mecklenburg-Vorpommerns zeigen, dass die tatsächliche Zahl der Abbrecherinnen und Abbrecher in den Lehramtsstudiengängen deutlich höher ist als es die bislang vorliegenden Daten nahelegen, wobei die Zahlen je nach angestrebtem Lehramt variieren (vgl. ausführlich Radisch et al., 2020a, b).

Studienwechsel wird im Lehramtskontext häufig als unscharfer Sammelbegriff für eine Vielzahl an Wechselbewegungen (u. a. Wechsel von einem fachwissenschaftlichen Studium in das Lehramtsstudium, Hochschulwechsel oder Wechsel innerhalb der Lehramtsstudiengänge) verwendet (Gausch & van Buer, 2011). Im nationalen Bildungsbericht wird auf Basis der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) auf eine hohe Stabilität der Studienentscheidung hingewiesen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020, S. 197); die Wechselquote liegt insgesamt bei 10 Prozent (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020, Tab. F4-1web). Dabei erfolgt der Großteil dieser Wechselbewegungen innerhalb der Lehramtsstudiengänge (also z. B. Wechsel des angestrebten Lehramts oder der studierten Unterrichtsfächer) – lediglich 10 Prozent der Wechselnden verlassen das Lehramt und wechseln in ein nicht-lehramtsbezogenes Studium (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020, Tab. F4-2web). Güldener et al. (2020) konnten im Rahmen der o.g. Studie zeigen, dass die Wechselquote (aus dem Lehramtsstudium) je nach angestrebtem Lehramt variiert (zwischen 1 Prozent im Lehramt für Sonderpädagogik und 16 Prozent im Gymnasiallehramt).

 

Wer ein Lehramtsstudium absolviert, wird Lehrkraft?

Allgemein wird angenommen, dass Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiums einem vorgezeichneten beruflichen Weg – über den Vorbereitungsdienst in den Lehrkräfteberuf – folgen. Gleichwohl gibt es auch Lehramtsabsolventinnen und -absolventen, die alternative Wege einschlagen. Gülen et al. (im Erscheinen) haben auf Basis der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) den beruflichen Verbleib von Lehramtsabsolventinnen und -absolventen mit Erstem Staatsexamen bzw. entsprechendem universitärem Abschluss im Anschluss an das Hochschulstudium beschrieben: Demnach verbleiben 84 Prozent der Absolventinnen und Absolventen nach Studienabschluss im Lehramt, wobei der Großteil (79 Prozent) nach dem Lehramtsstudium in den Vorbereitungsdienst wechselt. Zudem gibt es eine kleine Gruppe (5 Prozent), die direkt in den Lehrkräfteberuf einsteigt, ohne vorher den Vorbereitungsdienst zu absolvieren. Zugleich orientiert sich ein nicht unerheblicher Anteil (11 Prozent) beruflich um und schlägt alternative Wege außerhalb des Lehrkräfteberufs ein. 5 Prozent der Absolventinnen und Absolventen nehmen eine Promotion auf, wobei die Promotionsphase auch nur eine Zwischenstation vor Aufnahme des Vorbereitungsdienstes sein kann (Steinhausen, 2015). Eulenberger et al. (2015, S. 158) sprechen in ihrer auf das Bundesland Sachsen bezogenen Studie zu Übergängen nach dem Lehramtsstudium von einer Gleichzeitigkeit von ‚Kontinuität‘ und ‚Auflösung‘ des typischen institutionellen Verlaufsmusters: Zwar gibt es nach wie vor hohe Übergangsquoten in den Vorbereitungsdienst, zugleich geht ein nicht unerheblicher Anteil alternative Wege jenseits des Vorbereitungsdienstes bzw. des Lehrkräfteberufs. Insofern sind auch im Lehramt mit traditionell stark standardisierten Berufswegen zunehmend Prozesse von Pluralisierung, Individualisierung und Entstandardisierung beruflicher Verläufe erkennbar. Dies zeigt sich auch in der Forschung zu beruflichen Biografien und zur beruflichen Mobilität von Lehrkräften (Herzog, Sandmeier & Terhart, 2021), wobei der Hauptschub berufsfeldbezogener Mobilität direkt nach dem Lehramtsstudium zu liegen scheint (Eulenberger et al., 2015, S. 158).

Wenngleich der Großteil der Absolventinnen und Absolventen nach dem Lehramtsstudium den Vorbereitungsdienst beginnt, schließen diesen jedoch nicht alle auch erfolgreich ab. Zum Verlassen des Vorbereitungsdienstes gibt es bislang kaum öffentlich zugängliche Daten und Informationen. Lediglich einzelne Absolventenstudien (Lenz et al., 2019; Wolf, 2015) widmen sich – am Rande – diesem Phänomen und nennen einen Anteil von etwa 2 Prozent an angehenden Lehrkräften, die den Vorbereitungsdienst ohne Abschluss verlassen. Letztlich können auf Grund der unzureichenden Datenlage derzeit keine verlässlichen Aussagen über das tatsächliche Ausmaß von Abbrüchen im Vorbereitungsdienst getroffen werden; es mangelt hier gänzlich an aktuellen, umfassenden und differenzierten Daten.

 

Fazit

Insgesamt geht ein nicht unerheblicher Anteil an angehenden Lehrkräften im Verlauf der Lehramtsausbildung verloren, wenn Lehramtsstudierende die Universität ohne Abschluss verlassen, in ein nicht-lehramtsbezogenes Studium wechseln, sich nach erfolgreichem Studienabschluss entscheiden, alternative Wege jenseits des schulpraktischen Vorbereitungsdienstes und des Lehrkräfteberufs einzuschlagen, oder den begonnen Vorbereitungsdienst ohne Abschluss verlassen. Sie stehen in aller Regel dem System Schule nicht mehr zur Verfügung und tragen damit zur weiteren Verschärfung des Lehrkräftemangels bei.

Die Datenlage ist allerdings bislang unbefriedigend: Teilweise gibt es Datenlücken (insbesondere bezogen auf den Vorbereitungsdienst), mit den unterschiedlichen Zugängen gehen verschiedene Limitationen einher (z. B. Ungenauigkeit bei der Ermittlung von Studienabbruchquoten durch Kohortenvergleiche, Verzerrungen durch Ausfälle bei Panelbefragungen oder geringe Rücklaufquoten bei Absolventenstudien). Mittlerweile ist eine amtliche bundesweite Studienverlaufsstatistik eingeführt, um vollständige Studienverläufe abbilden zu können – Daten zum Studienabbruch liegen jedoch noch nicht vor, sind aber angekündigt, sobald längere Zeitreihen vorliegen (Destatis, 2023, S. 4). Inwieweit hier auch die Lehramtsstudiengänge differenziert betrachtet werden, bleibt abzuwarten. Güldener et al. (2020) haben das Potenzial der Studienverlaufsstatistik zur differenzierten Erfassung von Studienverläufen im Lehramt aufgezeigt, betonen gleichwohl aber auch mögliche Widerstände (vgl. Güldener et al., 2019). Die Fortschreibung dieser Daten böte die Möglichkeit, Verbleib und Schwund auch im Vorbereitungsdienst sowie im Lehrkräfteberuf nachzuzeichnen, dürfte aber sehr voraussetzungsreich sein. Gleichwohl geben diese Daten lediglich einen Überblick über das Ausmaß von Schwund im Lehramt. Aussagen zu den Ursachen für das Verlassen der Lehramtsausbildung (zu unterschiedlichen Zeitpunkten) sind auf dieser Basis nicht möglich. Hier besteht ebenso weiterer Forschungsbedarf.


Zum Literaturverzeichnis

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