Acht Schulen zeigen ihren Weg zum Lernen der Zukunft 

Die Probleme im Bildungssystem könnten größer und vielfältiger kaum sein, und doch fehlt es in der öffentlichen Debatte an einer flächendeckenden Veränderung in der schulischen Landschaft. Der PISA-Schock schreibt sich fort und längst ist klar: Es geht nicht nur um PISA-Ergebnisse, es geht darum, besseres und gerechteres Lernen für Schüler:innen zu schaffen, die Lernkultur an Schulen nachhaltig zu transformieren. Hin zu einem Lernen, das fit für die Zukunft macht. Wie genau dieses gute Lernen und die Veränderung hin zu einer neuen Lernkultur aussieht, darauf gibt es nicht die eine, sondern ganz viele mögliche Antworten. Aber eins ist klar: Während die Chancenungleichheit für Schüler:innen steigt, wird die Suche nach Wegen hin zu dieser neuen Lernkultur umso drängender.  

Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits Schulen, die sich die Frage nach dem guten Lernen in aller Tiefe stellen und sich auf den Weg zum Lernen der Zukunft gemacht haben. Diese Schulen nehmen sich nicht nur das ein oder andere Projekt vor. Sie begeben sich in einen tiefgreifenden Wandel der Lernkultur. Das bedeutet: alte, vertraute Lehrmethoden loslassen, verfestigte Strukturen hinterfragen und – wenn sie hinderlich für eine Weiterentwicklung sind – lösen, Raum für Ideen und Experimente schaffen, um dann in einem nächsten Schritt Neues zu erkunden. Schauen, wie es andere machen, das Beste für die eigene Schule abgucken und weiterlernen, umsetzen mit der ganzen Schulgemeinschaft. Es braucht Willen, Ausdauer und Kraft, einen solchen Prozess des Wandels zu gehen, aber dieser Weg lohnt sich, kann Spaß machen, inspirieren und motivieren. Denn am Ende steht eine offene, zukunftsgerichtete Lernkultur, ein Lern- und Arbeitsort, der viel mehr den Vorstellungen guter Bildung entspricht, die die meisten Lehrkräfte mit in ihren Beruf bringen. 

Fünf Dimensionen des Lernkulturwandels 

Das ist leicht gesagt? Lässt sich das auch wirklich umsetzen? Und wie genau? Antworten hierauf bietet das Projekt „UnLearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft“ der gemeinnützigen Organisation beWirken. Expert:innen für schulische Organisationsentwicklung haben in im Rahmen des Projekts acht Schulen besucht und diese genauer unter die Lupe genommen. Wie ist der Lernkulturwandel hier gestartet? Was gehört alles dazu? Welche Ideen wurden umgesetzt und welche nach Erprobung wieder verworfen? An was sind die Schulen auch nach Jahren der Entwicklung immer noch dran?  

Bei einem genaueren Blick auf diese Good-Practice-Schulen lassen sich fünf Dimensionen des Lernkulturwandels erkennen, die für eine holistische Schulentwicklung von Bedeutung sind. Sie können als Ansatzpunkt dienen, um sich in der komplexen Gemengelage zu orientieren.  

(c) beWirken gGmbH
  1. Eigenständiges Handeln der Lernenden

Ein wichtiges Ziel von Schule ist es, Schüler:innen dabei zu unterstützen, selbstständig und selbstwirksam ihr Leben und ihr Umfeld mitzugestalten. Schule braucht entsprechende Erfahrungsräume und Beteiligungsstrukturen, die diese Erfahrung allen jungen Menschen ermöglichen. Es gibt viele spannende Konzepte, die genau hierauf abzielen, wie beispielsweise das Fach L.E.B.E.N. der Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe. Hier werden Schüler:innen von der 5. bis zur 10. Klasse daran heranführt, Verantwortung für sich, ihre Schule und das gesellschaftliche Umfeld zu übernehmen. Auch die Heinz-Brandt-Schule in Berlin kann als gutes Beispiel dienen. Sie lässt Schüler:innen die Schulentwicklung mitgestalten, indem sie sie an allen dafür wesentlichen Gremien beteiligt. 

  1. Lernbegleitung und offene Lernformen

Viele Schulen erproben verschiedene offene Lernformen, in denen individualisiert und projektorientiert gelernt wird und in denen Lehrkräfte verstärkt eine lernbegleitende Rolle einnehmen, um den Lernprozess der Einzelnen besser zu unterstützen. Offene Lernformen sind besonders wichtig, um neben dem Erwerb wichtiger Fach- und Basiskompetenzen insbesondere auch Sozial-, Selbstlern- und weitere Zukunftskompetenzen intensiver in den Fokus schulischen Lernens zu rücken. Schulen wie die Richtsbergschule in Marburg haben hierfür umfangreiche Konzepte wie z.B. das PerLenWerk entwickelt, das Schüler:innen ermöglicht, im eigenen Tempo an ihren Lerninhalten arbeiten zu können. In regelmäßigen Lerncoachings werden dort alle Schüler:innen intensiv unterstützt und gerade auch diejenigen an die Hand genommen, die sich mit selbstorganisiertem Lernen noch schwertun. 

  1. Gestaltung von Lernorten

Die räumlichen Gegebenheiten ermöglichen und unterstützen offene Lernformen und das eigenständige Handeln der Lernenden – nicht nur im Schulgebäude, sondern auch darüber hinaus. Moderne Lernraumkonzepte lassen daher die klassischen Flurschulen hinter sich und schaffen offene Lernlandschaften, in denen die Lernenden sich frei bewegen und den für sie geeigneten Arbeitsplatz suchen können, wie z. B. am Theresianum in Mainz. Dort experimentieren sie mit praxisbezogenen Maker-Spaces. Die Jeetzeschule in Salzwedel hat Lernräume auf einer schuleigenen Farm geschaffen. Der „Raum als 3. Pädagoge“ ist ein spannender und wirksamer Faktor für den Lernkulturwandel. Die Good Practice Schulen des Projekts UnLearn School zeigen, dass es nicht immer einen Neubau geben muss, um die Räume und deren Nutzung zu verändern.  

  1. Lernen in der Digitalität

Digitale Geräte sind nicht nur ein wichtiges Medium für schulisches Lernen – durch die Digitalisierung entsteht auch eine Kultur der Digitalität, die es erfordert und ermöglicht, Lehr- und Lernprozesse grundlegend zu verändern. UnLearn School-Schulen zeigen deshalb Formen des digitalen Lernens, in denen Endgeräte eine Rolle einnehmen, die der in unserer aller Alltag und Arbeitsleben gleicht: Sie sind Medium sowohl für die Aneignung als auch die Weiterverarbeitung von Informationen und als solches ein selbstverständlicher Teil des Lernprozesses, ohne ihn zu dominieren. Schulen wie die Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe nutzen deshalb in projektorientierten Unterrichtssettings Tablets als neue Möglichkeit, Inhalte zu verstehen und aufzubereiten, indem Schüler:innen statt Texten beispielsweise Podcasts oder Lernvideos produzieren. Im Raiffeisen-Campus in Dernbach betreuen die Lernenden im Rahmen einer Schüler:innen-Genossenschaft ein digitales Verkaufssystem und entwickeln es weiter. Damit lernen sie, wie digitale mit analogen Prozessen verknüpft sind und bauen genau die Kompetenzen auf, die sie auch in ihren Tätigkeiten nach der Schulzeit benötigen werden. 

  1. Zusammenarbeit in der Schulgemeinschaft

Eine gelingende und gut strukturierte Zusammenarbeit im Team ist ein zentraler Erfolgsfaktor für zeitgemäßes Lernen und nachhaltige Schulentwicklung. Das erfordert klare Teamstrukturen und eine sinnvolle Rollenverteilung, die über die klassische Zuständigkeit der Lehrkräfte vor allem für ihren eigenen Unterricht hinausgehen. Denn nur so lässt sich ein ganzheitliches Lernkonzept organisatorisch umsetzen und die fordernden Aufgaben des Veränderungsprozesses managen. Das Theresianum in Mainz zeigt, wie es dies in Jahrgangsteams und Jahrgangsparlamenten umsetzt, sowohl auf der Ebene der Lehrkräfte als auch auf der der Schüler:innen. Der Raiffeisen-Campus gibt Einblicke, wie das räumliche Konzept einer Teamlounge oder klare Formate und Strukturen für Teambesprechungen die Zusammenarbeit unterstützen und damit auch die Zufriedenheit im Kollegium erhöhen können. 

Den Lernkulturwandel an der eigenen Schule anstoßen 

Die vielfältigen Good Practices der Schulen machen deutlich, dass es nicht die eine Lösung für zeitgemäßes Lernen gibt. Es geht immer auch darum herauszufinden: Wo stehen wir als Schule – mit unseren Schüler:innen, unserem Kollegium, unserem Umfeld? Was ist unser Zukunftsbild für das Lernen an unserer Schule – und welches ist der richtige Weg, um uns diesem anzunähern? Antworten auf diese Fragen gibt es viele – aber es ist wichtig, sich genau diese Fragen zu stellen und aktiv als ganze Schule an ihnen zu arbeiten. 

Orientierung für einen Start in diesen Prozess können fünf Filmepisoden bieten, die die Good Practices der acht Projektschulen beleuchten und Antworten darauf geben, was es braucht, um Schule nachhaltig zu verändern. Abschauen ist hier dezidiert erwünscht. Einmal auf dem Weg, wird dann alle Beteiligten deutlich, welche Entwicklungspotenziale ihre Schule auch in dem bestehenden gesetzlichen Rahmen nutzen kann, um den großen Herausforderungen wie Chancenungleichheit bei den Schüler:innen etwas entgegenzusetzen. Von den UnLearn School Schulen haben wir immer wieder gehört: Es geht darum, „in‘s Machen“ zu kommen – nicht abwarten, bis die Politik einen neuen Rahmen setzt, sondern selbst den Prozess starten und währenddessen weiterlernen. Heiter scheitern und dann folgt die nächste Erkenntnis, die nächste Anpassung, der nächste Erfolg. Wenn allen Beteiligten bewusst wird, dass all diese Phasen zu einem Veränderungsprozess gehören, wird er zur Chance und setzt positive Energie frei.  

Wie genau beginnt denn nun ein solcher Prozess? Ein erster konkreter Schritt – und auch das berichten wirklich alle acht Schulen aus UnLearn School – ist das Hospitieren an anderen Schulen. Ein Besuch an einer Schule, die bereits auf dem Weg ist, gibt Inspiration und eine Vorstellung davon, wie neue Lernkonzepte in der Realität aussehen können. Das gibt dem Kollegium nicht nur ein Zielbild, sondern auch eine Diskussionsgrundlage und ein gemeinsames Verständnis. Was wollen wir übernehmen? Was passt weniger zu unserer Schüler:innenschaft? Mit der Diskussion dieser Fragen steckt die Schule dann schon mittendrin in ihrem Entwicklungsprozess.  

 


Literatur 

OECD (2019): OECD Lernkompass 2030. OECD_Lernkompass_2030.pdf 

Zierer, T. et al. (2023): UnLearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft“. Lüneburg: beWirken 

 

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