Wie kreativ sind Schülerinnen und Schüler in Deutschland? Antworten auf diese Frage lieferte jüngst die Sonderauswertung der PISA-Studie 2022: Seit Juni 2024 weiß Deutschland, dass seine 15-Jährigen im internationalen Mittelfeld der insgesamt 28 teilnehmenden OECD-Staaten liegen, wenn es um kreative Kompetenzen geht. Gleichzeitig ist jedoch mehr als ein Fünftel kaum dazu in der Lage, Ideen zu entwickeln, um ein Problem zu lösen oder mit Veränderungen umzugehen. Dabei gilt Kreatives Denken als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den individuellen und gesellschaftlichen Erfolg in den kommenden Jahrzehnten – eine der zentralen Zukunftskompetenzen also. Systematisch gemessen und international verglichen wurde es allerdings bis dato noch nicht. Mit seiner „innovativen Domäne“ stellte sich die OECD erstmalig in seiner Schulleistungsstudie PISA 2022 der Herausforderung, Kreativität messbar und bewertbar zu machen. Erstmalig – und zugleich vorerst letztmalig: Was PISA betrifft, wird es (voraussichtlich) bei dieser einmaligen Bestandsaufnahme bleiben, denn derartige Schwerpunktthemen wechseln seit 2012 von Erhebungszyklus zu Erhebungszyklus im Rahmen der sogenannten “innovativen Domäne” im Test, während die klassischen Kompetenzbereiche wie Lese-, Mathematik-, und naturwissenschaftliche Kompetenzen regelmäßig erhoben werden. Allerdings prüft eine zyklusübergreifende Arbeitsgruppe aktuell, inwiefern einzelne Elemente der innovativen Domänen in Form von Trendmessungen sinnvoll sein könnten.

Was steckt hinter den innovativen Domänen in den PISA-Studien?

Die Erhebungen im Bereich der innovativen Domänen bei PISA zielen jedes Mal auf Kompetenzen ab, die von der OECD als transversale Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts verstanden werden. Bisherige Themenbereiche waren:

  • PISA 2012: Kreatives Problemlösen
  • PISA 2015: Kollaboratives Problemlösen
  • PISA 2018: Globale Kompetenz
  • PISA 2022: Kreatives Denken

2018 richtete das PISA-Präsidium ein eigenes Programm für Forschung, Entwicklung und Innovation (FEI) ein, in dessen Rahmen z. B. Aufgabenformate, Testdesigns und Bewertungsmethoden verbessert werden können. Damit soll auch in internationalen Leistungsvergleichsstudien wie PISA der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass Schülerinnen und Schüler für ihre Zukunft Denkfähigkeiten höherer Ordnung, z. B. Problemlösung, Flexibilität bei der Strategiewahl, kritisches Denken und Metakognition benötigen werden. Auch weil die Kognitionswissenschaft immer wieder darauf hinweist, dass viele dieser überfachlichen Fähigkeiten untrennbar mit den fachlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler in den PISA-Kernkompetenzen verbunden sind, braucht PISA anspruchsvollere und vielfältigere Messinstrumente. Diese müssen über die übliche Art der Erhebung über Aussagen („Items“) hinausgehen, die traditionell zur Messung von Fakten- und Verfahrenswissen verwendet werden. Die innovativen Bereichsbewertungen sind aus Sicht der OECD der zentrale Bereich, um eben solche innovativen Aufgabentypen, adaptive Systeme und neue Bewertungslösungen zu entwickeln und zu validieren. Auf diese Weise sollen transversale Kompetenzen beobachtbar und in ihrer Wechselwirkung mit den PISA-Kernbereichen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft) untersuchbar gemacht werden.

„Learning in the digital world“ – das Sonderthema bei PISA 2025

Nach PISA 2022 ist vor PISA 2025 – und auch im nächsten Zyklus wird es neben den drei Kompetenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften eine neue, innovative Domäne geben. „Learning in the Digital World“ (LDW) hat zum Ziel, die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Hinsicht auf das Lernen im digitalen Zeitalter zu untersuchen und international zu vergleichen. Hierbei werden die Schülerinnen und Schüler als autonome Lernende begriffen, die in einem iterativen Prozess aktiv mit Hilfe von digitalen Werkzeugen (wie Tutorien und Arbeitsbeispielen) im Rahmen eines digitalen Assessments weitestgehend selbstgesteuert Wissen aufbauen, Probleme lösen und dabei ihren eigenen Lernprozess kontrollieren und bewerten. Dabei werden im Rahmen eines dreiphasigen digitalen Assessments z. B. die Fähigkeiten der Schüler:innen zur Selbstregulation und Motivation während des Bearbeitungsprozesses beobachtet.

Der Blick in den OECD-Maschinenraum: Die Entwicklungsarbeit für PISA 2025 „Learning in the digital world“.

Die Ergebnisse der Entwicklungsarbeit lassen sich im ausführlichen Ergebnisband „Innovating Assessments to Measure und Support Complex Skills“ nachlesen. Die Autoren des Bandes zeichnen hier das Vorgehen und die Erkenntnisse der PISA-Forschungs- und Innovationsgruppe (RIG) sowie führenden internationalen Expert:innen aus den Bereichen Bildungsforschung, Kompetenzmessung und Testdesigns nach, die bei der Weiterentwicklung der Leistungsmessung umgesetzt werden müssen. Dabei erläutern sie unter anderem, welche Rolle Technologie beim Prüfen und Fördern spielen kann, wenn transversale Kompetenzen in den Blick genommen werden sollen. Sie skizzieren die grundlegenden Konzepte der OECD-Arbeitsgruppe für die Entwicklung der nächsten Generation von Leistungsmessungen. Und schließlich bieten sie Informationen für Entwicklerinnen und Entwickler von Leistungsmessungen, Pädagoginnen und Pädagogen wie auch politische Entscheidungsträger an, wie ein Umgang mit diesen neuen Konzepten der Kompetenzmessung und –dokumentation aussehen kann.

Eine Zusammenfassung des Ergebnisbandes unter dem Titel „Innovative Ansätze zur Leistungsmessung und Förderung komplexer Fähigkeiten“ gibt es nun auch auf Deutsch: Damit die Forschungs- und Entwicklungsarbeit schon vor Veröffentlichung der nächsten PISA-Ergebnisse Eingang in die deutschen Debatten rund um zukunftsrelevante Kompetenzen und zeitgemäße Mess- und Prüfungsmethoden finden, hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Telekom Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Mercator eine erweiterte Zusammenfassung dieser Publikation ins Deutsche übersetzen lassen.

 


Literatur:  Jennifer Diedrich, Sabine Patzl, Pia Todtenhöfer, Doris Lewalter (2024): Kreatives Denken in Deutschland und im internationalen Vergleich. Kurzbericht der Ergebnisse der innovativen Domäne aus PISA 2022. Münster: Waxmann. 

 

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