Wie kann der Diskurs über einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität im Klassenzimmer und über zeitgemäße Unterrichtsformen angeregt werden? Welche Kommunikationsmittel können zum professionellen Austausch über Vielfalt in Schule und Unterricht genutzt werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Gesprächsrunde am vergangenen Donnerstag hier in Gütersloh, zu der wir 15 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Schulformen und Schulstufen zu uns in die Bertelsmann Stiftung eingeladen hatten. Die Diskussion wurde sehr lebhaft und engagiert, zum Teil auch kontrovers geführt – und lieferte viele Anregungen.

Heterogenität ist Normalität!
Heterogenität ist Normalität!

Heterogenität ist Normalität in unseren Klassenzimmern – und doch stellt diese Vielfalt Lehrkräfte aller Schularten und -stufen tagtäglich vor große Herausforderungen: Die Heterogenität von Kindern und Jugendlichen anzuerkennen bedeutet, die Unterschiedlichkeit in den Lernbegabungen, den Lerntypen, den persönlichen Bedürfnissen zu erkennen und sie im Unterricht zu berücksichtigen. Ein zeitgemäßer Unterricht ist demgemäß darauf ausgerichtet, das Potenzial jedes einzelnen Kindes zu fördern und unterstützt individualisiertes Lernen – denn jedes Kind, jeder Jugendliche lernt anders und hat andere Voraussetzungen. Von individueller Förderung sind wir in der Praxis jedoch vielfach noch weit entfernt; es dominieren weiterhin eher lehrerzentrierte Unterrichtsformen (vgl. Studie von Kunze / Solzbacher: 2008).
Zielsetzung der Gesprächsrunde war es aus diesem Grunde, gemeinsam mit Vertretern der Profession darüber nachzudenken, wie die Aufmerksamkeit von Lehrkräften stärker auf individuelle Förderung bzw. einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität gelegt werden kann. Wie kann der Diskurs über dieses wichtige Thema angefacht werden? Vielleicht über die Würdigung guter Ansätze im Unterricht? Über innovative Konferenzformate, die den persönlichen Erfahrungsaustausch von Lehrkräften ermöglichen? Oder durch die Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten, die das Internet bietet? Diese drei Ideen wurden im Rahmen der Gesprächsrunde diskutiert und reflektiert.
1. Würdigung guter Unterrichtspraxis
Idee für die Auszeichnung guter Unterrichtspraxis
Idee für die Auszeichnung guter Unterrichtspraxis

Bei diesem Ansatz geht es darum, gute Unterrichtsideen, Konzepte und Projekte zu würdigen, die zeigen, wie produktiv mit den unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen, Interessen und Leistungsmöglichkeiten der Schüler umgegangen werden kann. Bei einer solchen Auszeichnung guter Unterrichtspraxis könnte es sich z. B. um einen Publikumspreis handeln, der monatlich von der Lehrer-Community im Internet vergeben wird. Die Einsendungen könnten im Web veröffentlicht, diskutiert und wertgeschätzt werden. Die Planungsdokumente, Materialien und Arbeitsblätter wären dort für andere Schulen verfügbar und könnten für eigene Zwecke heruntergeladen und angepasst werden. Pro Monat könnte ein besonders überzeugender Ansatz prämiert und die ideenreichen Lehrkräfte (oder Lehramtsanwärter) zu einer größeren Bildungsveranstaltung eingeladen werden, bei der sie ihren Ansatz anderen vorstellen. Hier der Ansatz visualisiert als Präsentation.
Die Fragen und Anmerkungen der Teilnehmer der Gesprächsrunde auf diesen Vorschlag waren sehr unterschiedlich. Hier nur eine kleine Auswahl:

  • Wer entscheidet über Kriterien guten Unterrichts und woran macht man sie fest?
  • Wer kann beurteilen, dass die Unterrichtskonzepte gut sind? Experten werden benötigt.
  • Anforderungen sind sehr hoch gehängt – es werden kaum Einsendungen erfolgen
  • Wie kann man schriftlich belegen, dass wirklich eine Schülerpartizipation erfolgt ist?
  • Gutes Unterrichtskonzept ≠ guter Unterricht
  • Die Beteiligung von Schülern bei der Bewertung der Ansätze fehlt
  • Die Kriterien sind aus dem Referendariat bekannt – das schreckt ab
  • Werden mit dem Preis womöglich die falschen Lehrer angezogen? Die Lehrer, die mitmachen, sind nicht die „Otto Normal-Lehrer“
  • Lehrer brauchen Unterstützung, keine Preise
  • Müssen immer „die Besten“ ausgezeichnet werden, um eine Wertschätzung auszudrücken?

2. Innovative Konferenzformate (Mitmachkonferenzen)

Kombination von Fachkongress und EduCamp
Kombination von Fachkongress und EduCamp

Der zweite Ansatz verfolgt die Idee, Lehrkräften ein Forum zu bieten, in dem sie sich über zeitgemäße Unterrichtsformen austauschen und bewährte Praxis vorstellen können. Eher traditionelle Konferenzformate bieten Lehrkräften in der Regel nur wenige Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung bzw. der inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung. Darum könnte ein Veranstaltungsformat etabliert werden, das stärker auf Beteiligung ausgerichtet ist und den Teilnehmern weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Nach dem Vorbild der BarCamps bietet insbesondere das EduCamp einen organisatorischen Rahmen, in dem viele Menschen selbstorganisiert und eigenverantwortlich an den Bildungsthemen arbeiten können, die für sie relevant und wichtig sind. Ein EduCamp besteht aus Diskussionsrunden (Sessions), die zu Beginn der Veranstaltung durch die Teilnehmer selbst koordiniert werden. Eine Kombination aus EduCamp und vorgeschaltetem, klassischen Bildungskongress könnte Lehrkräften helfen, sich eher auf dieses neue Veranstaltungsformat einzulassen. Hier der Ansatz visualisiert als Präsentation.
Ausgewählte Rückmeldungen der Gesprächsrunde zu diesem Vorschlag:

  • Dem persönlichen Austausch von Lehrkräften kommt generell eine große Bedeutung zu
  • Präsenzformate sind aus der Perspektive der Lehrerbildung sinnvoll und hilfreich
  • Vor allem müssen sich die Lehrkräfte innerhalb der Schule stärker aufeinander beziehen. Es bietet sich an, Teams bilden, in denen ein peergroup-orientierter Austausch stattfindet
  • Blick über den Tellerrand ist erst sinnvoll, wenn Schulentwicklungsprozesse bereits initiiert sind.
  • Bei Tagungen sollte die Inhalte den Lehrkräften auch in den Lernformen übermittelt werden, die sie selbst später im Unterricht anwenden sollen.

3. Kommunikation und Vernetzung von Lehrkräften im Web 2.0
Der dritte Ansatz geht davon aus, dass die Verständigung und Zusammenarbeit von Lehrkräften auch über die neuen Kommunikationswege erfolgen kann, die das Web 2.0 bietet. Das Web 2.0 steht für interaktive und auf Kollaboration ausgelegte Elemente im Internet. Benutzer erstellen, bearbeiten und verteilen Inhalte selbst und vernetzen sich dabei mit Hilfe sozialer Netzwerke. Über Lehrerplattformen und –communities (ZUM-Unity, 4teachers, Lehrerfreund, lo-net), soziale Netzwerke wie Facebook, Blogs (siehe Blogroll), Wikis etc. bietet das Web vielfältige Möglichkeiten des Informationsaustausches und der Vernetzung.
Ausgewählte Rückmeldungen:

  • Neue Medien können bei der Schulentwicklung helfen, um Transparenz von Aufgaben und Strukturen sicherzustellen (auch: gemeinsames Wissensmangement)
  • Stichwort „Medienkompetenz“: Nicht jeder Lehrer ist in der Lage, die Materialien richtig aufzubereiten und hochzuladen.
  • „Copyright-Problem“ hält viele Lehrkräfte davon ab, ihre Materialien zugänglich zu machen
  • Es fehlen Materialien für den Unterricht (Konkret: Binnendifferenzierung). Wenn es sie gibt, können sie aber nicht eins zu eins übernommen werden…
  • Das Internet kann Impulse liefern. Auf die konkrete Zusammenarbeit vor Ort darf nicht verzichtet werden, um Veränderungen in der Schule auszulösen.

Hier gibt es die Gesamtpräsentation zu allen drei Ideen als
pdf-Download.
Abschließend lässt sich festhalten, dass es zu allen drei Punkten zwar eine Vielzahl an konstruktiven Rückmeldungen, aber kein eindeutiges Votum der gesamten Gruppe für den einen oder anderen Ansatz gab. Es war eher so, dass die Bereitschaft der Gesprächsteilnehmer, weiter mitzudenken oder sich ggf. sogar aktiv daran zu beteiligen, sich in unterschiedlichem Maße auf die drei vorgestellten Bereiche verteilte. Raum, gänzlich neue bzw. andere Vorschläge einzuholen und zu erörtern, bestand leider nicht. Vielleicht kann das ja auf dem nächsten EduCamp in Bremen nachgeholt werden?! Und natürlich kann auch hier an dieser Stelle die Diskussion zu den drei oben skizzierten Vorschlägen fortgesetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass wir da noch lange nicht mit unseren Argumenten am Ende sind. Insofern freue ich mich auf eure Ideen und euer Feedback. Feuer frei!
Literatur:
Solzbacher, Claudia (2008): Positionen von Lehrerinnen und Lehrern zur individuellen Förderung in der Sekundarstufe I – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Ingrid Kunze und Claudia Solzbacher (Hrsg.): Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 27-42.