In der Zeitschrift PÄDAGOGIK wurde das Thema „Schüler als Lernhelfer“ erst kürzlich umfassend in einer Artikelserie beleuchtet, auch der Ansatz „Lernen durch Lehren“ (LdL) erfreut sich auch 30 Jahre nach seiner Entdeckung durch Jean Pol Martin weiterhin großer Beliebtheit und morgen findet in der Tapetenfabrik in Leipzig ein SpeedLab zum Thema “Peer Education” statt. Eine gute Gelegenheit, in einer kleinen Zusammenschau mal intensiver darüber nachzudenken, was denn dran ist an der Idee, dass Kinder und Jugendliche ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten an Gleichaltrige („Peers“) weitergeben.
Der Vorteil der Peer Education besteht aus Sicht von Pädagogen darin, dass Kinder und Jugendliche das Wissen auf Augenhöhe vermitteln und sich in die Lage der anderen Kinder und Jugendlichen einfühlen können: So kann die Hierarchie, die zwischen Kindern und Erwachsenen – respektive zwischen Schülern und Lehrkräften – besteht, bei der Peer Education durch das ähnliche Alter und einen vergleichbaren Wissensstand und Erfahrungshorizont aufgehoben werden. Durch ähnliche Vorkenntnisse ist es ihnen möglich, Wissen verständlich zu kommunizieren. Zudem geht man davon aus, dass die „Peergroup“ ein entscheidender Sozialisationsfaktor für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist. Dies vorangestellt, soll im Folgenden beschrieben werden, wie Peer Education insbesondere im schulischen Kontext / im Unterricht zum Tragen kommen kann und welche Erwartungen damit verbunden sind.

Schüler als Lernhelfer im individualisierten Unterricht

In einem individualisierten Unterricht haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, allein oder miteinander in unterschiedlichem Tempo an differenzierenden Aufgaben und Materialien zu arbeiten; es werden individuelle Zugänge zum Lerngegenstand ermöglicht. In diesen Unterrichtphasen übernimmt die Lehrkraft vor allem die Aufgabe eines Lernberaters oder Lerncoaches. Da die Beratung und Lernbegleitung des Lehrers notwendig aber zugleich auch sehr zeitaufwändig ist, profitiert ein derartiger Unterricht sehr von Schülern, die gelernt haben, sich gegenseitig beim Lernen zu unterstützen – z. B., indem Schüler, die in einem Thema besonders weit sind, zu „Experten“ werden, die den anderen etwas erklären oder als „Chef“ Arbeitsblätter durchsehen und kommentieren. Ganz systematisch wird dies bspw. an der Max-Brauer-Schule in Hamburg gemacht (vgl. Film von Reinhard Kahl, ab. Sekunde 30):

Lernen durch Lehren“ nach Jean Pol Martin (LdL)
LdL wird von den Anhängern des Konzeptes ausschließlich als unterrichtsgestaltende Methode innerhalb eines Klassenverbandes verstanden. Es werden Lernergruppen aus maximal drei Schülern gebildet und jede Gruppe bekommt einen abgegrenzten Stoffabschnitt sowie die Aufgabe, diese Inhalte der Gesamtgruppe zu vermitteln (was ein klein wenig an das Gruppenpuzzle beim kooperativen Lernen erinnert). Die Schüler bereiten den Stoff didaktisch auf (spannende Impulse, Abwechslung in den Sozialformen usw.). Bei dieser Vorbereitung, die im Unterricht stattfindet, steht der Lehrer den einzelnen Lernergruppen zur Seite und gibt Impulse und Ratschläge. Die unterrichtenden Schüler stellen selbst sicher, dass jede Information von den Adressaten verstanden wird (z.B. indem sie nachfragen, zusammenfassen lassen etc.). Der Lehrer interveniert, wenn er feststellt, dass die Kommunikation nicht gelingt oder dass die von den Lernern eingesetzten Motivationstechniken nicht greifen (vgl. Wikipedia-Eintrag zu „Lernen durch Lehren“).
Jean Pol Martin, der Wegbereiter des „Lernen durch Lehren“-Ansatzes, sieht im LdL sogar eine Möglichkeit, alle möglichen Typen von Lernergruppen zu aktivieren, auch die sehr undisziplinierten oder sehr zurückhaltenden. Damit ist dieser Ansatz auch im Hinblick auf ein erfolgreiches Classroom Management von Bedeutung (vgl. Jean Pols Blogbeitrag „LdL als Allheilmittel? Im Prinzip, ja!„).
 
Was bringt Peer Education für das Lernen?
Forschungsergebnisse zum Thema Peer-Education legen nahe, dass die Peers, die ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten weitergeben, mehr von diesem Ansatz profitieren als die Gleichaltrigen, die unterwiesen werden:

„Für sie besteht die Möglichkeit, ihre fachlichen Kompetenzen zu vertiefen, da sich durch das Erklären und Wiederholen des Themas das zuvor Gelernte stärker einprägt. Aber auch ihre soziale Kompetenz wird gefördert, indem sie z. B. Informations- und Beratungsangebote für ihre Peer-Group durchführen und dabei entsprechend auf die Zielgruppe eingehen müssen. […] Durch die Anerkennung der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren als Expertinnen und Experten für die eigene Lebenswelt und die damit einhergehende Verantwortungsübernahme und Mitbestimmung kann ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden.“ (Quelle: Medienscouts NRW)

Die Lernhelfer machen Selbstwirksamkeitserfahrungen. Aber auch die „Hilfesuchenden“ profitieren in ihrem Lernprozess von den Peers: Sie lernen zum einen durch eine „individuell passende Explikation von Wissen und Lernstrategien. Diese gute Passung wird dadurch unterstützt, dass die Erklärungen des Lernhelfers auf aktuellen inhaltlichen und lernstrategischen Erfahrungen basieren sowie in der Sprache der Lernenden erfolgen“ (Bastian 2012: 6).
Die Autoren in der PÄDAGOGIK weisen allerdings darauf hin, dass es bei keinem Helfersystem ausreicht, schlicht auf die vorhandenen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zurückzugreifen. Unterstützt werden müsse die Bereitschaft zu helfen und sich helfen zu lassen durch „Strukturen, durch Lehrkräfte, die mit guten Beispiel vorangehen, sowie durch Phasen, in denen die Rolle des Lernhelfers reflektiert, gelernt und eingeübt wird“ (ebd.). Ist Peer Education also doch kein Selbstläufer? Welche Erfahrungen habe andere mit Helfersystemen in Schule gemacht?
 
Blick über den Tellerrand beim SpeedLab in Leipzig
Morgen (am 5. Oktober 2012) findet in Leipzig das vierte SpeedLab von werkstatt.bpb.de zum Thema “Peer Education” als Lern- und Lehrmethode im schulischen und außerschulischen Kontext statt. Das SpeedLab richtet sich an Lehrkräfte und weitere Interessierte aus dem Bildungsbereich. Auf dem SpeedLab werden verschiedene Ansätze und ausgewählte Projekte aus der Praxis (auch aus dem Ausland) vorgestellt und Fragen rund um das Thema Peer Education diskutiert. Wie funktioniert das Lernen in Peer Groups? Welche Inhalte und Kompetenzen können durch Peers besonders gut vermittelt werden? Zwei Input-Vorträge bieten den Einstieg in das Thema. Anschließend erörtern Vortragende und Teilnehmende gemeinsam in parallel stattfindenden Workshops („LernLabs“) die drängenden Fragen und Herausforderungen des Schulalltags. Auch über die Grenzen dieser Art zu Lernen soll diskutiert werden. Wir werden an dieser Stelle über die Ergebnisse des SpeedLabs berichten.
Weitere Infos unter http://werkstatt.bpb.de/2012/10/speedlab-peer-education/
 
 
Internetlinks:
werkstatt.bpb.de – SpeedLab zum Thema “Peer Education” http://werkstatt.bpb.de/2012/10/speedlab-peer-education/
Wikipedia-Eintrag „Lernen durch Lehren“ http://de.wikipedia.org/wiki/Lernen_durch_Lehren
Blogbeiträge von Jean Pol Martin zu LdL http://jeanpol.wordpress.com/tag/ldl/
 
Literatur:
Appel, Elke (2001): Auswirkungen eines Peer-Education-Programms auf Multiplikatoren und Adressaten – eine Evaluationsstudie. Berlin.
Bastian, Johannes (2012): Schüler als Lernhelfer. Erfahrungen – Begründungen – Schwierigkeiten. In: Pädagogik Heft 6/2012, S. 6ff
Föh, Marie-Joan (2012): Helfersystem im individualisierten Unterricht. In: Pädagogik Heft 6/2012, S. 10ff
Harring, Marius; Böhm-Kasper, Oliver; Rohlfs, Carsten; Palentien, Christian (2010) (Hrsg.): Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen. Peers als Bildungs- und Sozialisationsinstanzen. Wiesbaden: VS Verlag.
Nörber, Martin (2003) (Hrsg.): Peer Education. Bildung und Erziehung von Gleichaltrigen durch Gleichaltrige. Weinheim, Basel, Wien: Verlagsgruppe Beltz.