Neue Klemm-Studie: Jeder vierte Förderschüler besucht mittlerweile eine reguläre Schule – der Anteil der Kinder im Förderschulsystem bleibt aber nahezu konstant / Enorme Unterschiede zwischen den Ländern
Die Inklusion im deutschen Schulsystem kommt voran, ohne dass allerdings die Förderschulen an Bedeutung verlieren. Inzwischen besucht zwar jeder vierte Schüler mit Förderbedarf eine reguläre Schule. Seit Deutschland sich vor vier Jahren verpflichtet hat, Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten, ist der Inklusionsanteil damit bundesweit um ein Drittel (von 18,4 auf 25 Prozent) gestiegen. Eigentlich eine Erfolgsmeldung. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass weniger an Förderschulen unterrichtet wird. Denn bei immer mehr Schülern wird sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert. Der Anteil der Förderschüler an der gesamten Schülerschaft bleibt dadurch nahezu konstant. Das geht aus einer aktuellen Studie von Bildungsforscher Professor Klaus Klemm hervor: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0016E838-E2D6A739/bst/hs.xsl/nachrichten_115622.htm.
Im März 2009, als die UN-Konvention zur Abkehr vom derzeitigen Sonderschulsystem in Kraft trat, lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit sonderpäd. Förderbedarf an der gesamten Schülerschaft noch bei sechs Prozent. Im Schuljahr 2011/12 betrug er 6,4 Prozent. Insgesamt haben damit rund eine halbe Million Schüler in Deutschland besonderen Förderbedarf. Damit ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die nicht auf eine reguläre Schule gehen, seit 2009 von 4,9 auf 4,8 Prozent nur minimal gesunken (vgl. Abbildung Exklusionsquoten im Ländervergleich). Das Doppelsystem aus Regelschulen und separaten Förderschulen hat unverändert Bestand. Vor dem Hintergrund, dass drei Viertel der Schüler auf den separaten Förderschulen nicht einmal den Hauptschulabschluss erlangen, ist dieser Sachverhalt so nicht akzeptabel ist.

Exklusionsquoten im Ländervergleich
Exklusionsquoten im Ländervergleich

Wie in vielen Bildungsbereichen, sind auch beim Thema Inklusion die Unterschiede zwischen den Bundesländern enorm groß: In Bremen (55,5 %) und Schleswig-Holstein (54,1 %) etwa besuchen mehr als die Hälfte aller Förderschüler eine reguläre Schule. In Niedersachsen (11,1 %) hingegen wird lediglich jeder neunte Förderschüler inklusiv unterrichtet. Die größte Steigerung des Inklusionsanteils seit 2009 verzeichnet Hamburg: Dort hat sich der Anteil der Förderkinder, die eine reguläre Schule besuchen, weit mehr als verdoppelt (von 14,5 auf 36,3 %). Ähnliches gilt für Sachsen-Anhalt (von 8,6 auf 20,5 %). Ebenfalls große Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen in der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kind als förderbedürftig eingestuft wird: In Mecklenburg-Vorpommern (10,9 %) haben anteilig mehr als doppelt so viele Schüler besonderen Förderbedarf wie in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen (4,9 %).
Uneinheitlich präsentiert sich Deutschland im Ländervergleich auch bei der Bedeutung der Förderschulen für das jeweilige Schulsystem. In Schleswig-Holstein beträgt der Anteil der Schüler, die separat unterrichtet werden, nur noch 2,7 Prozent – in Mecklenburg-Vorpommern (7,6 Prozent) ist die Wahrscheinlichkeit auf den Besuch einer getrennten Förderschule fast drei Mal so hoch.
Deutlich wird: Inklusion ist eine nationale Herausforderung. Allerdings fehlt weiterhin ein gemeinsames Verständnis der Länder, es fehlen inhaltliche Konzepte und bundesweite Standards. Zudem brauchen die Schulen dringend Unterstützung und vor allem genügend gut ausgebildetes Personal. Im vergangenen Jahr bereits hatte Klemm in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung berechnet, dass – selbst wenn die Mittel der derzeitigen Förderschulen weitgehend zu den Regelschulen umgeschichtet würden – bundesweit jährlich 660 Millionen Euro für 9.300 zusätzliche Lehrkräfte gebraucht werden, um inklusiven Unterricht in angemessener Qualität anzubieten.

Hier gibt es die Studie von Prof. Klemm zum Download. Grafiken und Berichte der einzelnen Bundesländer können ebenfalls heruntergeladen werden:
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0016E838-E2D6A739/bst/hs.xsl/nachrichten_115622.htm