Gestern wurde der Chancenspiegel 2013 veröffentlicht. Das zentrale Ergebnis lautet: Die Chancengerechtigkeit hat sich in den vergangenen zwei Jahren deutschlandweit nur leicht verbessert. Es gibt einige positive Tendenzen, ansonsten aber viel Stagnation – und weiterhin riesige Unterschiede zwischen den Bundesländern.
Beginnen wir mit zwei positiven Veränderungen: Das Risiko, die Schule ohne Abschluss zu verlassen, ist erfreulicherweise in fast allen Bundesländern gesunken (im Bundesdurchschnitt von 6,9 auf 6,2 Prozent) und die Chancen auf den Erwerb der Hochschulreife sind in den meisten Bundesländern gestiegen. Mehr als jeder Zweite erwirbt inzwischen einen Schulabschluss, der zur Aufnahme eines Studiums berechtigt (51,1 Prozent).
Auf der anderen Seite wird deutlich, dass nach wie vor großer Handlungsbedarf besteht. Immer noch ist das Risiko für Förderschüler hoch, separat unterrichtet zu werden. So ging der Anteil der Schüler, die in Förderschulen unterrichtet werden, nur geringfügig zurück: Immer noch blieben im Schuljahr 2011/12 4,8 Prozent aller Schüler vom Regelschulbesuch ausgeschlossen – gegenüber 5 Prozent im Schuljahr 2009/10. Zwar kommt der gemeinsame Unterricht voran: der Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die in Regelschulen unterrichtet werden, stieg von 20,1 Prozent im Schuljahr 2009/10 auf 25,0 Prozent im Schuljahr 2011/12. Im selben Zeitraum ist aber auch die Förderquote von 6,2 auf 6,4 gestiegen (= der Anteil der Kinder, bei denen Förderbedarf diagnostiziert wurde), was die anhaltende Bedeutung der Förderschulen trotz steigender Inklusionsanteile erklärt.
Die Aussicht eines Schülers, einen Platz in einer Ganztagsschule zu bekommen, ist weiterhin eher gering, vor allem im Blick auf gebundene Ganztagsschulen, die nach empirischen Studien für die Bildungschancen besonders wirksam sind: Die Werte für den Anteil der Schüler, die Zugang zu einem Platz in einer gebundenen Ganztagsschule haben, erhöhen sich zwischen den Jahren 2009 und 2010 nur wenig. Im Bundesdurchschnitt stieg der Anteil um 0,8 Prozentpunkte von 11,9 auf 12,7 Prozent.
Nicht zuletzt deshalb hat auch weiterhin die soziale Herkunft großen Einfluss auf den Bildungserfolg. Das gilt für den Primarbereich, auf den bei der Kompetenzförderung im aktuellen Chancenspiegel fokussiert wird wie auch für den Sekundarbereich, der im vergangenen Jahr im Fokus des ersten Chancenspiegels stand. Ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) zeigt, dass die Viertklässler in Deutschland im Jahr 2011 mit 541 Punkten durchschnittlich in etwa dieselbe Leseleistung wie 2001 erreichten (damals: 539 Punkte). 2011 wie 2001 liegen die Kinder aus niedrigen Sozialschichten bei der Lesekompetenz bereits im Alter von zehn Jahren durchschnittlich um ein Jahr zurück: der Abstand zwischen Kindern aus Familien der oberen Dienstklasse zu den Kinder aus (Fach-)Arbeiterfamilien betrug 2011 wie 2001 42 Punkte. Auch die aktuellen Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs zu den Bildungsstandards bestätigen diese Befunde.
Weiterhin große Unterschiede zwischen den Bundesländern – Bildungschancen ungleich verteilt

Anteil der Schüler im Ganztag
Anteil der Schüler im Ganztag

Unverändert stark ausgeprägt ist das Gefälle zwischen den Bundesländern. So zeigt der unterschiedliche Umgang mit Inklusion und schulischem Ganztag, dass es für diese zentralen Herausforderungen nach wie vor kein gemeinsames Verständnis der Länder oder bundesweite Standards gibt: Die Nutzung von Ganztagsangeboten ist in den Stadtstaaten sowie den ostdeutschen Ländern mit durchschnittlich fast 60 Prozent relativ hoch. In den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland hingegen sind es nur knapp 15 Prozent im Mittel. Zwischen der oberen und unten Ländergruppe liegen als knapp 45 Prozentpunkte!
Anteil der Wiederholer in der Sekundarstufe
Anteil der Wiederholer in der Sekundarstufe

Ein weiteres Beispiel für die Unterschiedlichkeit der Länder ist der Anteil der Wiederholer in der Sek I. Das Risiko der Klassenwiederholung unterscheidet sich bisweilen stark zwischen den Ländern: Baden-Württemberg schafft es, seine Wiederholerquote auf 1,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe zu senken, während in Bayern 4,4 Prozent aller Schüler eine Klasse wiederholen müssen.
Schulische Leistungen werden länderabhängig sehr unterschiedlich zertifiziert. Das zeigt das Beispiel des Erwerbs der Hochschulreife: In den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland erwerben fast 60 Prozent der Schüler eine Hochschulzugangsberechtigung. Auffällig sind die niedrigeren Werte um die 40 Prozent in den ostdeutschen Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in Bayern.
Im Ergebnis bedeutet das auch, dass die Schulsysteme der Länder den Kindern und Jugendlichen höchst unterschiedliche Bildungschancen bieten. Besonders anschaulich wurde dies gestern in einem Kommetar des Tagesspiegels beschrieben:

Schüler, zeige deine „Dimensionen“, und der neue „Chancenspiegel“
der Bertelsmann-Stiftung sagt dir, in welchem Bundesland
du lieber nicht zur Schule gehen solltest. Wer mit
dem Schulabbruch sympathisiert, läuft in Mecklenburg-Vorpommern
höchste Gefahr, die Flinte tatsächlich ins Korn zu werfen
(über 13 Prozent), während saarländische Lehrer ihn eher davon
abhalten werden (4,8 Prozent Abbrecher). Bremen reicht Schüler
gerne von einer höheren Schulform an eine niedrigere durch,
anders als Brandenburg. In Bayern werden Schüler aus sozial
schwächeren Familien eher abgehängt als in Sachsen. Seit dem
Pisa-Schock vor über zehn Jahren wissen die Deutschen, dass die
Zukunft eines Kindes auch von dem Bundesland abhängig ist, in
das es geboren wird. Die Gründe dafür sind komplex, sie liegen
in Bildungstraditionen und nicht zuletzt in der sozialen Lage eines
Landes […]
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/meinung/bildungsstudie-es-gibt-eine-antwort/8400068.html

 
Presseresonanz auf den Chancenspiegel:
Der Einsatz der Eltern
Die Welt überregional
Warum der Schulerfolg hierzulande so stark von der Herkunft abhängt
http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article117423267/Der-Einsatz-der-Eltern.html
Deutschlands Schulsystem gibt Kindern wenig Chancen
Spiegel Online
Deutschlands Schulen bieten kaum Möglichkeit für einen Aufstieg
http://www.spiegel.de/schulspiegel/bertelsmann-studie-zeigt-ungerechtigkeit-an-deutschen-schulen-a-906962.html
Bildungschancen nach Postleitzahl
taz Die Tageszeitung
Studie Ob ein Schüler Abitur macht, hängt auch davon ab, in welchem Bundesland die Schule steht. Sackgasse Sonderschule
http://www.taz.de/!118646/
Fortschritt im Schneckentempo
Kölner Stadt-Anzeiger SK | 25.06.2013
Bildungsstudie Der „Chancenspiegel“ ermittelt mangelnde Gerechtigkeit im Schulwesen
http://www.ksta.de/kultur/chancengerechtigkeit-fortschritt-im-schneckentempo,15189520,23508590.html
Studie: Soziale Herkunft prägt nach wie vor Schulerfolg 
Neue Osnabrücker Zeitung
Experten sehen Nachholbedarf in allen 16 Bundesländern
http://www.noz.de/stellenanzeigen/artikel/73040232/studie-soziale-herkunft-praegt-nach-wie-vor-schulerfolg
In NRW machen 59 Prozent Abitur
Rheinische Post D Düsseldorf | 25.06.2013
Die Qualität der Schulen in Deutschland verbessert sich nur langsam
http://nachrichten.rp-online.de/politik/in-nrw-machen-59-prozent-abitur-1.3491817
Hamburgs Schulen kaum verbessert
Hamburger Abendblatt | 25.06.2013
Laut Bildungsstudie der Bertelsmann Stiftung schwache Lesekompetenz und viele Abbrecher
http://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article117423564/Hamburgs-Schulen-kaum-verbessert.html