Die Digitalisierung anderer Branchen hat es vorgemacht: Der Weg zur Personalisierung führt über die Massifizierung. Statt im Musikgeschäft konnte man sich die CDs irgendwann einfacher im Internet kaufen; dank großer Stückzahlen und optimierter Logistik war dies zumeist auch günstiger. Heute jedoch will man nicht mehr die gleiche CD wie alle anderen, sondern stellt sich über iTunes sein individuelles Musikprogramm zusammen.

4 Aus anderen Branchen können wir lernen: Massifizierung ist der erste Schritt hin zur Personalisierung

Oder das Beispiel Zeitungen: Nach dem Print-Produkt kam die Phase der Massifizierung im Internet; es gab die gleiche Zeitung für jeden digital und günstig. Heute personalisieren neue Angebote wie die vor wenigen Wochen gestartete App Readly die eigene digitale Zeitung nach persönlichen Interessen. Aber auch Alltagsgüter, wie etwa Lebensmittel, sind inzwischen übers Internet per Mausklick personalisierbar: So kann man sich beispielsweise auf mymuesli.com aus 80 Zutaten sein eigenes Müsli zusammenstellen und nach Hause liefern lassen. Das kostet trotz individueller Mischung nicht viel mehr als die Regalware. Die Zauberformel der Digitalisierung (anderswo unter dem Stichwort Industrie 4.0 beschrieben) heißt: massenhaft günstig, individuell zugeschnitten. „One size fits it all“ war gestern, heute baut sich jeder sein persönliches Wunschprodukt im Internet zusammen.

5 Digitale Bildung bringt Massifizierung und Personalisierung

Solange digitale Bildungsangebote nur darauf ausgerichtet sind, eine möglichst große Menge an Nutzern mit dem gleichen Inhalt zu versorgen, verschenken sie ihr Potenzial. Zukünftig müssen die Online-Kurse nicht nur „massive“ sein, sondern vor allem „personalized“ – „POOCs statt MOOCs“ lautet die Devise: Keine Bildung von der Stange für alle, sondern persönliche Maßanfertigung für jeden.

Es gibt durchaus erste Ansätze der Personalisierung in der Online-Bildung, bisher jedoch vor allem im Schulbereich: Programme wie Knewton oder auch Bettermarks analysieren beim Mathematik-Lernen jeden Fehler und schlagen entsprechend die nächste Aufgabe vor. Die Kamera im Laptop oder Smartphone misst dank Affectiva vom MIT die Aufmerksamkeit des Lerners und könnte eingreifen, sobald man einmal abschweift. „New Classrooms“ in New York City berechnet jede Nacht das individuelle Lernprogramm für den nächsten Tag für Tausende von Schülern. Jeder Schüler lernt dort anders, so anders wie die Schüler, ihre Fähigkeiten und Wissensstände eben sind. Wo man sich früher entweder lange durch Aufgaben quälen musste, die man schon längst beherrschte, oder umgekehrt an viel zu schweren Aufgaben scheiterte, gehören dauerhafte Langweile oder Überforderung bei einem solchen modernen Lernsystem der Vergangenheit an.

Das Ziel ist: Die Lehre passt sich dem Lernenden an, nicht der Lernende der Lehre. Damit einher geht auch die Modularisierung von Bildungsinhalten in kleinere Lerneinheiten. Statt einer großen Abschlussprüfung am Ende des Semesters ermöglichen digitale Hilfsmittel kontinuierliche Lernkontrollen und unmittelbares Feedback. Das ist die wahre Revolution, die unserem Hochschulwesen noch bevorsteht

Aber Vorsicht: Digitales Lernen ermöglicht bisher vornehmlich effizienteren Wissenserwerb, es ersetzt nicht die Persönlichkeitsbildung. Die Reduktion auf siebenminütige Videos gefährdet Ausdauer und Kreativität. Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden. Wir sollten sie in der Hochschullehre einsetzen, wo es passt: Ein didaktisch gut konzipierter Mathematik-Vorkurs mag ein sinnvolles Online-Angebot sein, ein digitales Examenskolloquium vielleicht eher nicht. Computertechnik wird niemals die persönliche Bindung zwischen Lehrer und Lerner ersetzen, sie kann aber zeitliche Freiräume dafür schaffen.

Ein Impuls in neun Thesen (4/5)- von Jörg Dräger, Julius-David Friedrich und Ralph Müller-Eiselt