Gelingt Personalisierung zu vertretbaren Kosten, dann können Hochschulen gleichzeitig mit der wachsenden Zahl an Studierenden und deren steigender Heterogenität erfolgreich umgehen. Dazu brauchen wir flexible Studienmodelle wie ein Teilzeitstudium, eine individuellere Anerkennung von Vorkenntnissen und eben auch ein größeres digitales Lehrangebot.

6 Digitalisierung ermöglicht, die Herausforderung „Studium als Normalfall“ zu bewältigen – darum darf Deutschland die digitale Revolution nicht verschlafen.

Bei all dem steht für Deutschland die Qualität der Lehre im Mittelpunkt: Digitales Lernen kann für eine heterogene Lerngruppe eine sinnvolle und effiziente Ergänzung zu den Vor-Ort-Angeboten sein. Es geht nicht um ein „Entweder oder“, sondern um ein sinnvolles „Sowohl als auch“, in dem sich Online- und Präsenzlehre komplementär ergänzen.

7 Digitalisierung wird nicht nur die Hochschullehre, sondern das gesamte Hochschulsystem verändern.

Die Digitalisierung wird Rollenverständnis und Aufgaben von Hochschulen, Lehrenden und Lernenden ändern. Die klassische Hochschule hat den Studierenden bei der Gestaltung seines Studiums beraten, ihn gebildet, geprüft und zertifiziert. Aber was passiert mit den Hochschulen, wenn Bildungssuchmaschinen wie Noodle die Empfehlung für das individuell geeignete Bildungsprodukt ins Netz verlagern? Was passiert mit den Hochschulen, wenn immer mehr Studierende spannende Angebote online belegen und auf ihr Studium anrechnen lassen wollen? Was passiert mit den Hochschulen, wenn Online-Plattformen wie degreed.com ihre klassische Zertifizierungsrolle übernehmen, indem sie nicht nur das formal, sondern auch das non-formal und informell erworbene Wissen eines Einzelnen bewerten, mit einem Zertifikat versehen und potenziellen Arbeitgebern transparent machen? Können „Hochschulen“ entstehen, die überhaupt keine eigene Lehre mehr anbieten, sondern sich nur darauf konzentrieren, Kompetenzen und (Vor-)Wissen zu zertifizieren, anderswo absolvierte Kurse anzurechnen und aus dem großen, weltweit verfügbaren Bildungsangebot für jeden Studierenden individualisierte Lernprogramme zusammenzustellen? Oder entstehen Hochschulen, die keine eigenen Studenten mehr haben, aber ihre starke Marke nutzen, um Bildung für den Weltmarkt zu produzieren?

Auch die Rolle der Professoren kann sich dramatisch ändern. Während wir noch die Einheit von Forschung und Lehre beschwören, diskutiert man anderswo schon über die Einheit der Lehre. Wir sehen bereits eine Binnendifferenzierung des Lehrpersonals: Schon heute schreibt – sinnvollerweise – nicht jeder Professor sein eigenes Lehrbuch, sondern nutzt zumeist die Werke anderer. Was passiert aber, wenn Online-Didaktiker Vorlesungen konzipieren, Kommunikationsstars sie halten und aufzeichnen, spezielle Coaches die Studierenden beim Lernen begleiten und wiederum andere Benotung und Prüfung übernehmen?

Ein Impuls in neun Thesen (6/7)- von Jörg Dräger, Julius-David Friedrich und Ralph Müller-Eiselt