Der alltägliche und selbstverständliche Umgang mit digitaler Technologie prägt die Lebenswelt und das Kommunika­tionsverhalten junger Menschen. Die ‚digital natives‘ kennen kein Leben ohne digitale Dimension, während der Unter­richt an deutschen Schulen, abgesehen von Pilotprojekten und den Aktivitäten einzelner Vorreiterschulen, noch weit­gehend analog organisiert ist. Damit vertieft sich auf bedenkliche Weise der Graben zwischen einer digitalisierten Alltagswelt der Schüler und den Ansprü­chen und Erfordernissen der Bildungs­institutionen.

Noch immer empfinden viele Lehrkräfte an deutschen Schulen digitale Technologie vor allem als kon­zentrationsschädliche Ablenkung. Von einer systematischen und pädagogisch sinnvollen Einbindung digitaler Lernfor­mate ist die Praxis in den meisten Schulen weit entfernt. Dabei bietet die Digitalisierung aus pädagogischer Perspektive große Potenziale, um den Herausforderungen der Schule in einem immer heterogeneren Umfeld zu begeg­nen. Die Politik hat den Bedarf einer Modernisierung des Schulalltages mitt­lerweile erkannt und ihn im Rahmen der „Digitalen Agenda“ auf die politische Tagesordnung gesetzt.

Der pädagogisch reflektierte Einsatz digitaler Lernformate bietet nicht nur neue Möglichkeiten des kollaborativen Lernens über Orts- und Klassengrenzen hinweg, sondern eröffnet auch große Chancen für eine bessere individuelle Förderung und Leistungsdiagnostik und bereitet die Schüler nicht zuletzt auf einen globalen und digitalisierten Ar­beitsmarkt vor. Im Interesse der zukünf­tigen Innovations- und Wettbewerbsfä­higkeit wird es sich Deutschland nicht leisten können, diese Potentiale weiterhin ungenutzt zu lassen.

Denn jene Arbeitswelt, in der sich die heutige Schülerschaft wird behaupten müssen, ist internationaler und kompetitiver als jemals zuvor. Berufsprofile und Karriere­wege werden vielfältiger, verändern sich ständig und erfordern deshalb vor allem die Fähigkeit, sich schnell und selbst­ständig Wissen anzueignen. Entspre­chende IT-Kenntnisse sind dabei nicht mehr nur in spezifischen Fachrichtun­gen, sondern in nahezu jedem Berufs­feld von zentraler Bedeutung. Digitale Kompetenzen bilden die Grundvoraus­setzung für Teilhabe am politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Leben.

Die Integration neuer Technologien in den Unterrichtsalltag ist entscheidend für die Entwicklung dieser Kompeten­zen. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung technischer Geräte und deren Anwendungen, sondern vor allem auch um einen reflektierten und verantwor­tungsvollen Umgang mit digitalen Me­dien. Schüler müssen lernen, die Infor­mationsmengen, die durch das Internet verfügbar sind, sinnvoll zu filtern. Ori­entierungswissen und Urteilsfähigkeit im digitalen Raum, die Fähigkeit zur kritischen Einordnung von Informatio­nen, der eigenständigen Problemlösung und Weiterbildung sind mehr denn je Teil des Bildungsauftrags.

Ein Fachun­terricht „Digitalkunde“ könnte spezielle Fähigkeiten wie etwa das Programmie­ren vermitteln. Hier sollten idealerweise auch Themen wie der Schutz der Privat­heit, Chancen und Risiken von ‚Big Data‘ sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen, ethischen und gesellschaftlichen Aspek­te der Digitalisierung adressiert werden. Noch wichtiger als ein solches Schulfach wäre es aber, die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung bzw. den Einsatz digitaler Medien systematisch in den gesamten Schulalltag zu integrieren.

Bei der Digitalisierung unserer Schulen geht es nicht nur um die Vermittlung digitaler Kompetenzen. Innovative Anwendungen erleichtern auch den Lehrkräften die Organisation des Schul­alltags, vor allem den Informationsfluss zwischen Kollegen, Schülern und Eltern sowie den Umgang mit der enorm ge­wachsenen Vielfalt in den heutigen Klas­senzimmern. Statt für jeden das Gleiche und damit Langeweile oder Überforde­rung für die meisten Schüler, heißt die Devise nun: Für jeden das Passende. Die Digitalisierung ermöglicht es, Lern­weg, -stil, und -geschwindigkeit an in­dividuelle Bedürfnisse anzupassen.

Es eröffnen sich neue didaktische Ansätze: Über digitale Lernplattformen können Schüler in Echtzeit in virtuellen Grup­pen zusammenarbeiten. Gleichzeitig ermöglichen digitale Technologien dem Lehrer, Lernfortschritte individuell zu erfassen und entsprechende personali­sierte Hilfestellungen anzubieten. Lern­fähige Software erlaubt die Anpassung der Aufgaben im Lernverlauf („adaptive learning“) und fördert Binnendifferen­zierung und individualisierte Lehre auch in größeren Klassen.

Unser Bildungssystem steht bei der In­tegration neuer Technologien vor großen Herausforderungen. Um diese Aufgabe zu meistern, bedarf es der rich­tigen infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen und Anreize, aber auch der Bereitschaft der Schulleiter und Lehrkräfte vor Ort, digitale Techno­logien nicht nur anzuschaffen, sondern auch zu nutzen und sich dazu fortzubil­den.

Eine flächendeckende und sichere IT-Infrastruktur für alle Schulen ist die Grundvoraussetzung für digitale Inno­vationen. Neue Lernformate werden nur dann erfolgreich sein, wenn deren Fokus nicht auf dem technisch Möglichen, son­dern auf dem pädagogisch Sinnvollen liegt. Um den nötigen Strukturwandel an den Schulen zu ermöglichen, muss die Qualität der Lernangebote ebenso sichergestellt werden wie das medien­pädagogische Know-How der Lehrer. Auch die wichtige Frage nach dem si­cheren Umgang mit Schülerdaten muss beantwortet werden.

All dies wird we­der kurzfristig noch ohne entsprechende Investitionen, politische Rahmenbedin­gungen und individuelle Anstrengungen an den Schulen machbar sein. Dieser auf Initiative der stiftung neue verantwortung sektorübergreifend entstandene Policy Brief formuliert einige zentrale Aspekte einer „Digitalen Agenda für unsere Schulen“ und möchte Impulse zu der Diskussion geben, wie digitale Innovationen in der Schule gelingen können, welche Chancen sich eröffnen und welche Hürden zu nehmen sind.

Die 8 Kernempfehlungen des Papiers lauten:

– Bildungeinrichtungen Priorität beim Breitbandausbau geben

– Professionelle IT-Infrastruktur und IT-Management an Schulen einführen

– Digitale Kompetenzen der Lehrkräfte stärken

– Transparenz über die Qualität digitaler Lernformate schaffen

– Datenschutz und -souveränität gewährleisten

– Urheberrecht ans digitale Zeitalter anpassen

– Praxisbezogene Wirksamkeitsforschung fördern

– Digitale Agenda der Bildungspolitik als Investititon in die Zukunft verstehen

Das Hervorheben der Potenziale digitaler Technologien im Bildungsbereich ist mittlerweile zu einem Allgemeinplatz geworden im Digitalisierungsdiskurs geworden. Auch die Stärkung der Medienkompetenz von Lernern und Lehrern wird regelmäßig als notwendige Antwort auf die bildungspolitischen Herausforderungen der Digitalisierung gefordert. Hierbei geht es nicht nur um eine Qualifizierung für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Digitale Kompetenzen bilden auch die Grundlage für die Bürgergesellschaft im 21. Jahrhundert. Denn nur wer das Internet versteht, kann auch seine Rechte im digitalen Raum einfordern, seine Daten vor Missbrauch schützen und informierte Entscheidungen zum eigenen Online-Verhalten treffen. Nun müssen auf die Erkenntnis endlich Taten folgen: Wir brauchen eine digitale Agenda für unsere Schulen.