In der Online-Community Stack Overflow kann jeder angemeldete Nutzer Fragen zu Programmierproblemen stellen. Die Fragen werden thematisch sortiert und dann von anderen Nutzern bearbeitet; die Antworten sind für alle einsehbar. Seit 2008 haben sich auf der Plattform weit über vier Millionen Menschen registriert und fast zehn Millionen Fragen gestellt. Die Nutzer würdigen ihre Antworten gegenseitig mit „Badges“ – Abzeichen, die es nicht nur in Gold, Silber und Bronze gibt, sondern in vielen qualitativen Abstufungen: „Generalist“ oder „Guru“, „neugierig“, „erleuchtet“, „hilfreich“ oder „beharrlich“. Badges sind für jeden sichtbar, sie werden auf der Profilseite und auch in den einzelnen Posts angezeigt. Je häufiger man Fragen beantwortet und je hilfreicher diese Antworten für die Community sind, desto höher die Auszeichnung. Auf diese Weise steigern die aktiven Teilnehmer kontinuierlich ihre Reputation und belegen ihre Kompetenz.

Ob es um die Auswirkungen des demografischen Wandels, sauberes Trinkwasser oder einen anspruchsvollen Programmiercode geht – zahlreiche Themen sind in ihrer Komplexität für den Einzelnen nicht mehr zu bewältigen. Selbst der Fachkundige ist häufig überfordert. Der wissenschaftliche Output steigt rasant, verdoppelt sich mittlerweile alle neun Jahre. Alles hängt mit allem zusammen; das erfordert, stärker in Problemen als in Disziplinen zu denken. Die Arbeitswelt ist einem permanenten Wandel ausgesetzt, in manchen Berufen werden zentrale Kompetenzen schon nach etwa fünf Jahren obsolet. Der technologische Fortschritt verlangt vom Einzelnen ein ständiges Update seines Wissens. Die analoge Lösung dafür ist der Austausch mit den Kollegen vor Ort, die digitale nutzt – so wie bei Stack Overflow – die Kompetenz der Vielen im Netz.

Wissen wissen und Lernen lernen galten bisher als zentrale Anforderungen für ein erfolgreiches Berufsleben. Heute sollte man auch Kenner kennen. Auf digitalen Plattformen und Foren vernetzt zu sein und zu jedem Problem den geeigneten Experten aktivieren zu können, führt zu schnellen und guten Lösungen. Wer seinen Sachverstand teilt, profitiert in der Regel auch von dem Know-how der anderen und bekommt mehr zurück, als er selbst preisgibt. Die Gleichung des modernen Arbeitens lautet: 1 + 1 = 3. Das Ergebnis ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Das Netzwerk schlägt den Einzelnen, Probleme lassen sich zusammen besser lösen als alleine, gegenseitiges Erklären erhöht das eigene Verständnis – diese Erkenntnisse sind altbekannt. Neu sind allerdings die Dynamik und die Reichweite, die ihnen die Digitalisierung verleiht. Die Regeln sind im Prinzip für alle sozialen Netzwerke dieselben: wechselseitiges Geben und Nehmen, Vertrauen in, aber auch Kontrolle durch das Kollektiv. Schlechte Qualität wird so schnell offensichtlich, gute findet allgemeine Anerkennung.

Der Erfolg von Online-Initiativen wie Stack Overflow zeigt: Wissen ist Macht, geteiltes Wissen ist mächtiger. Solche Communities vereinen die gemeinsame Suche nach und den offenen Wettbewerb um die besten Lösungen. Dort sind keineswegs lauter Altruisten unterwegs, sondern Menschen, die erkannt haben, dass der Einzelne profitiert, wenn er Nutzen für andere stiftet. Wer anderen hilft, steigt im Ansehen und bekommt deswegen mehr Unterstützung bei der Lösung seiner eigenen Probleme – und auch attraktivere Jobangebote und Aufträge.

Die Generation Y hat das Prinzip »Kollaboration statt Konkurrenz« verinnerlicht: Sie ist technologisch fähig, aber vor allem bereit, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Digital Natives konsumieren Informationen nicht nur, sondern wollen sie auch kommentieren und fortentwickeln. Sie haben begriffen, dass die Lösung komplexer Probleme Zusammenarbeit erfordert. Doch darauf ist unser Bildungssystem bisher nicht ausgelegt; es belohnt Einzelleistung nach wie vor stärker als Teamarbeit. Das muss und wird sich im Zuge der digitalen Revolution ändern.

Lernen ist und bleibt ein sozialer Prozess, der von zwischenmenschlichen Beziehungen geprägt ist. Natürlich kann beispielsweise ein gemeinsames Onlinestudium nicht jedes persönliche Erlebnis auf dem Uni-Campus ersetzen – wer sich darauf einlässt, entwickelt aber wichtige Schlüsselkompetenzen für die Arbeitswelt der Zukunft. Der Netzwerklerner profitiert von tausenden losen Kontakten, die er im Beruf jederzeit aktivieren kann. Wer sich früh in virtuellen Teams übt, dem wird es später leichter fallen, auch so zu arbeiten: Er schätzt Sachverstand weit mehr als Hierarchie und Autorität; statt alter Wissensmonopole pflegt er eine Kultur des Austauschs und der Kooperation. WeQ ist mehr wert als der größte IQ. Die Ego-Gesellschaft war gestern.