Die deutsche Debatte um die sog. Rhythmisierung von Ganztagsschulen trägt manchmal skurrile Züge. Eine „Überwindung des 45-Minuten-Takts“ wird als Revolution der schulischen Lernkultur gefeiert. Ob dabei tatsächlich Erkenntnisse der Chronobiologie eine Rolle gespielt haben, bleibt oft im Ungefähren. Nicht selten entpuppt sich ein neues Modell der Zeitstrukturierung schlicht als eine Umstellung von Einzel- auf Doppelstunden. Gibt es ein biologisches Gesetz, nach dem Doppelstunden besser sind als Einzelstunden? Zeit für etwas Empirie: Was ist dran an der deutschen Sehnsucht nach dem perfekten Schultag? Eine neue Studie rund um die Harvard-Professorin Francesca Gino, die hierzulande bislang kaum wahrgenommen wurde, liefert interessante Erkenntnisse.
Skandinavien gilt nicht umsonst als Paradies für empirische Sozialforscher. Die Wissenschaftler konnten für ihre Studie die vollständigen Schülerdaten aller knapp 600.000 Schüler nutzen, die zwischen den Schuljahren 2009/10 und 2012/13 an dänischen Schulen lernten. In diesem Zeitraum führte das dänische Bildungsministerium standardisierte und computerbasierte Tests in verschiedenen Fächern durch. Neben den Testergebnissen hatten die Forscher auch Zugang zu weiteren Daten aller Schüler, z.B. zum elterlichen Einkommen und Bildungshintergrund sowie zum Geburtsgewicht der Schüler. Eindeutige Personenkennziffern machen es möglich.
Die Forscher gingen mit ihrer Studie der Frage nach, inwieweit das Abschneiden bei Leistungstests davon abhängig ist, wie spät am Tag diese Tests stattfanden und ob direkt vorher eine Pause lag. Da die Testzeiten der Schüler zufällig festgelegt wurden, konnten die Wissenschaftler sich die Daten aller Schüler an insgesamt über 2.000 Schulen zur Beantwortung dieser Frage zunutze machen. Wenig überraschend: Je später am Tag ein Test absolviert wurde, desto schlechter schnitten die Schüler ab, weil im Laufe des Schultages Ermüdungserscheinungen sichtbar wurden. Bei einem eine Stunde später stattfindenden Test wurde das Ergebnis um 0,9 Prozent einer Standardabweichung schlechter.
Zwei Dinge sind allerdings bemerkenswert: Fand direkt vor dem Test eine längere Pause statt (mindestens 20 bis 30 Minuten), so wurde der direkt im Anschluss abgeleistete Test besser als ohne Pause, nämlich um 1,7 Prozent einer Standardabweichung. Und: Diese mittleren Effekte sind besonders bei den leistungsschwächeren Schülern ausgeprägt, während diejenigen am oberen Ende der Kompetenzskala sich kaum beeinflusst zeigten von Test-Tageszeit oder Pausenverfügbarkeit.

Effect of time of day and breaks Quelle: http://www.pnas.org/content/113/10/2621/F2.large.jpg
Effect of time of day and breaks
(Quelle: http://www.pnas.org/content/113/10/2621/F2.large.jpg)

Daraus folgen zwei Einsichten: Insbesondere für leistungsschwächere Schüler ist es wichtig, in der Gestaltung des Schultags auf ausreichende Pausenzeiten zu achten, insbesondere, wenn Leistungsstanderhebungen durchgeführt werden sollen, denn diese Schüler profitieren besonders von der Unterbrechung, um sich von ihrer kognitiven Erschöpfung zu erholen. Außerdem stützen die Befunde auch Bestrebungen, den Schultag auf den Nachmittag auszuweiten. Bei ausreichend Pausen zwischen den Stunden steigt die kognitive Leistungsfähigkeit durch die Pausen stärker an als sie durch den späteren Tageszeitpunkt abnimmt. Die dänische Praxis, nur jede zweite Stunde eine Pause vorzusehen, sehen die Autoren vor diesem Hintergrund kritisch. Sie empfehlen hingegen eine längere Pause nach jeder einzelnen Unterrichtsstunde. Dann ist auch ein Unterrichtsende erst am Nachmittag kein Problem.
Für die deutschen Apologeten des zweistündigen Blockunterrichts sind die Ergebnisse ebenfalls bedeutsam. Eine Taktung kürzerer Unterrichtseinheiten mit längeren, häufigen Pausen (oder auch außerunterrichtlichen Angeboten, die kognitiv anders sind als Unterricht) bei einem insgesamt bis in den Nachmittag reichenden Schultag könnte die bessere Lösung sein. Im gebundenen Ganztagsbetrieb ließe sich dies jedenfalls problemlos umsetzen, adäquate personelle und sonstige Ressourcen vorausgesetzt.
Studie im Volltext: http://www.pnas.org/content/113/10/2621.full.pdf
Weiterführende Informationen zur Studie: www.pnas.org/lookup/suppl/doi:10.1073/pnas.1516947113/-/DCSupplemental