Milliardenprogramm für Ausstattung der Schulen mit Computern und Internet. Ist das der Hebel, um an Schulen eine zeitgemäße Lernkultur mit digitalen Medien zu entwickeln?
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat am Mittwoch ihren Digital-Pakt#D vorgestellt. Gegenstand des Pakts ist ein umfangreiches Finanzpaket des Bundes, immerhin fünf Milliarden Euro, mit dem alle 40.000 Schulen in Deutschland in den kommenden fünf Jahren mit Computern und WLAN ausgestattet werden sollen.
Die Initiative von Frau Wanka ist grundsätzlich begrüßenswert: Immer wieder wird darüber diskutiert, dass Schulen in Deutschland beim digitalen Lernen schon an den Voraussetzungen, nämlich bei der Infrastruktur, scheitern, dass sie keinen Support bekommen und der Schuladmin nicht selten auch der Informatiklehrer in Personalunion ist. Eine zeitgemäße und alltagstaugliche IT-Infrastruktur, die das Lernen der Schüler unterstützt, ist nur an wenigen Schulen vorhanden. Wenn sich der Bund also nun dafür einsetzt, dass eine sichere, zuverlässige Basisinfrastruktur mit Breitbandanbindung, WLAN-Abdeckung und Zugriffsmöglichkeit auf zentrale Dienste zur Verfügung gestellt wird und die Lernenden zukünftig Computer (noch besser: personalisierte und mobile Endgeräte) jederzeit am Ort des Lernens nutzen können, z.B. für selbstständiges und kooperatives Lernen, ist das zunächst einmal ein positives Signal.

Vollkostenrechnung für IT-Infrastruktur an Schulen

Gleichzeitig lässt das Strategiepapier von Frau Wanka viele Fragen offen, angefangen bei der Höhe des Investitionsprogramms: Werden die im Bericht ausgewiesenen Mittel ausreichen? Wie und über welchen Zeitraum sollen sie verteilt werden? Andreas Breiter, Björn Stolpmann und Anja Zeising haben errechnet, dass für die Basisinfrastruktur (Internetanbindung, WLAN, Support) und die IT-Ausstattung der Schulen (Endgeräte, Software-Lizenzen, Präsentationsmedien etc.) sowie für Lernmedien und pädagogische Unterstützung jährlich mit Kosten in Höhe von bis zu 2,62 Mrd. Euro gerechnet werden muss – allein für die Schulen der Sekundarstufe. Die avisierten fünf Milliarden werden also nicht reichen, um alle 40.000 Schulen dauerhaft und umfassend auszustatten. Auch gibt es in Wankas Bericht keine Differenzierung in einmalige Investitionskosten und laufende Kosten (z. B. für Datenvolumina, die genau wie Strom Geld kosten).

Medienintegration im Mehrebenensystem

Breiter & Co machen in ihrer Studie auch deutlich, dass für gelingende Medienintegration die verschiedenen Ebenen des Schulsystems zusammenarbeiten müssen: Zwar ist die Schule und die an ihr tätigen Lehrkräfte für die Erfüllung und Ausgestaltung des Bildungs- und Erziehungsauftrags und damit für den Medieneinsatz im Klassenzimmer verantwortlich, für die Bereitstellung der technischen IT-Basisinfrastruktur sind allerdings in erster Linie die kommunalen Schulträger verantwortlich (innere vs. äußere Schulangelegenheiten). Wenn es also darum geht, die technischen und organisatorischen Voraussetzungen sowie speziell auch die Gesamtbetriebskosten für eine lernförderliche IT-Infrastruktur zu ermitteln, so ist die Ebene des jeweiligen Schulministeriums, die Einzelschule und eben auch die kommunalen Schulträger als Sachaufwandsträger zu berücksichtigen. Die Reaktionen auf die Ankündigung von Frau Wanka deuten indes darauf hin, dass das Bundesbildungsministerium sich im Vorfeld nicht intensiver mit den Schulministerien der 16 Bundesländer abgestimmt hat:

Hier wäre es wünschenswert, wenn sich Bund und Länder schnell einigen. Doch ob das gelingen kann, ist fraglich. Denn Schulpolitik ist Ländersache. Das Kooperationsverbot untersagt sogar eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich Bildung. Eine Kooperation auf dem Gebiet der Informationstechnik hingegen wäre möglich – und genau hierauf stützt die Bundesbildungsministerin ihre Initiative.
Die kommunale Ebene wird im Strategiepapier leider nur am Rande erwähnt – gleichwohl die Erwartung an die Schulträger gerichtet, dass diese sich um die „Sicherstellung von Wartung und Betrieb der digitalen Infrastruktur“ kümmern mögen. Diese sollen auch „antragsberechtigt“ sein und die Fördermittel verwenden, um sinnvolle zentralisierte Strukturen auf Grundlage eines kommunalen Medienentwicklungsplans aufzubauen.

Infrastruktur bereitstellen allein reicht nicht

Es gibt Vorbilder für Wankas Idee. Zwei Vergleiche drängen sich förmlich auf: die Initiative Schulen ans Netz (1996-2012) und das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) mit dem die Bundesregierung von 2003 bis 2006 den bedarfsgerechten Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen in allen 16 Ländern förderte. Jöran beschreibt die Effekte des IZBB-Programms wie folgt:
„Für den Ausbau der Ganztagsschule hat man für vier Milliarden neue Gebäude und neue Räume an die Schule angebaut. Dabei hat man häufig „die alte Schule“ genauso bestehen lassen. Nur dass es jetzt auch eine Mensa und einen Nachmittagsbereich daneben gibt. Die Schule insgesamt kann im Wesentlichen weitermachen wie bisher. Sie hat nur ein Ergänzung, quasi ein Add-On bekommen Beim DigitalPaktD besteht die Gefahr, dass es genau so läuft. Man pappt eine zusätzliche Komponente an das Bestehende an.“

Wenn die Digitalisierung lediglich als Add-On gesehen wird, dann besteht die Gefahr, dass die an den Schulen bereitgestellte IT-Ausstattung nicht genutzt bzw. nicht systematisch in den Unterricht integriert wird. Eine weitere Gefahr ist, dass die digitalen Medien lediglich wie zuvor die analogen Medien genutzt werden (Präsentation via Beamer statt Folie am Overhead-Projektor, ebook statt Schulbuch, Whiteboard statt Tafel…). Man kann auch mit digitalen Medien schlechten Unterricht machen. Damit wird klar, dass eine lernförderliche IT-Infrastruktur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung ist. Die Pädagogik ist wichtiger als die Technik.

Zeigemäße Lernkultur der individuellen Förderung – gerne auch mit digitalen Medien

An den Anfang aller Überlegungen gehört also die Frage, warum digitale Medien überhaupt eine Rolle in Schule spielen sollten. Darauf gibt es zwei Antworten: 1.) Es ist notwendig, dass Kinder und Jugendliche Kompetenzen erwerben, um die Chancen digitaler Medien für sich zu nutzen und den Risiken (von Cybermobbing bis Internetsucht) angemessen begegnen zu können. Medienkompetenz, das hat die KMK bereits vor einigen Jahren festgestellt, ist eine Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert und wird immer mehr zu einer Voraussetzung für Teilhabe / Zugang zu Bildung. Dass die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von hiesigen Schülern im internationalen Vergleich nur mittelmäßig sind (vgl. die Ergebnisse der ICILS-Studie), zeigt, dass Schule hier einen Beitrag leisten kann.
2.) Digitale Medien können zudem Vorteile für das Lernen, insbesondere für individuelle Förderung bieten: Es lassen sich vielfältige Materialien (z.B. mit unterschiedlichem Anforderungsniveau) einsetzen, multimedial und interaktiv; die Zusammenarbeit und die Kommunikation können gefördert, Lernergebnisse sichtbar gemacht werden. Auch lassen sich handlungs- und problemorientierte Ansätze im Unterricht mit digitalen Medien einfach(er) umsetzen. Digitale Medien können somit eine Erweiterung des Medienrepertoires und der didaktisch-methodischen Möglichkeiten von Lehrkräften darstellen und einen Beitrag zu einer zeitgemäßen Lernkultur leisten, die den Schüler und sein Tun stärker in den Mittelpunkt rückt.
Auf die Lehrkräfte und das Unterstützungssystem kommt es an
Wie sollen die Medien in den Unterricht kommen? Unterschiedliche Studien (u.a. ICILS) zeigen, dass Lehrkräfte in Deutschland durchaus medienkompetent und medienaffin sind, aber hinsichtlich des Einsatzes von Medien im Unterricht zum Teil zurückhaltend bis kritisch sind. In vielen Fällen fehlt einfach eine Vorstellung davon, welchen konkreten Mehrwert digitale Medien für das Lernen im Fachunterricht bieten können. Hier ist das Unterstützungssystem gefragt: Landesinstitute und Medienzentren aber auch regional organisierte Fort- und Weiterbildungsangebote müssen sich an den Bedarfen (und Befürchtungen) der Praxis orientieren und aufzeigen, wie ein Unterricht mit digitalen Medien fachdidaktisch-methodisch gestaltet werden kann. Dazu sollen sich im DigitalPakt#D die Länder verpflichten, durch die „Umsetzung entsprechender pädagogischer Konzepte, die Umgestaltung der Lehreraus- und -fortbildung und die Unterstützung der notwendigen Strategieentwicklung bei Schulen und Schulträgern…“

Fazit

Die im Strategiepapier entwickelten Ansätze sind sinnvoll und richtig. Ohne substantielle Investitionen wird das digitales Lernen nicht im Schulsystem ankommen, Wankas Milliarden werden dringend gebraucht. Auch gebraucht wird allerdings ein genauer Plan für deren Einsatz. Eine frühzeitige Abstimmung mit den Bundesländern sowie den kommunalen Spitzenverbänden hätte hier sicher nicht geschadet. Die teilweise empörten Kommentare einiger Landesminister bei Twitter deuten jedenfalls darauf hin, dass diese erst über die Bild am Sonntag von den Plänen des Bundes erfahren haben. Noch scheint der dringend nötige Pakt eher ein einseitiges Projekt zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass es hier schnell eine Bewegung aufeinander zu gibt und die vielleicht einmalige Chance genutzt wird, über das Investitionsprogramm wirklich neue Impulse in die Schulen zu tragen, die Technik in den Dienst einer guten Pädagogik stellen. Wir drücken auf jeden Fall allen Beteiligten die Daumen!