Die digitale Bildungsrevolution hat bereits begonnen. Zu fürchten braucht sich aber niemand davor – im Gegenteil, weiß Digitalisierungs-Experte Ralph Müller-Eiselt.

 

Herr Müller-Eiselt, Sie haben gemeinsam mit Dr. Jörg Dräger das Buch „Die digitale Bildungsrevolution“ geschrieben. Wie revolutioniert die Digitalisierung unsere Bildung?

Ralph Müller-Eiselt: Digitales Lernen ist viel mehr als Tablets und Whiteboards. Am sichtbarsten ist heute die Demokratisierung der Bildung, also der günstige und einfache Zugang für die Hochmotivierten in aller Welt; „Harvard für alle“ haben wir das in unserem Buch etwas zugespitzt genannt. Noch größere Chancen stecken aber im persönlich zugeschnittenen Lernen.

 

Wie können wir uns das vorstellen?

Ralph Müller-Eiselt: Es gibt in den USA schon Schulen, wo ein Zentralrechner über Nacht jedem Schüler einen individuellen Lernplan für den nächsten Tag zusammenstellt. Oder Hochschulen, wo eine Software mit kaum vorstellbarer Treffsicherheit den Studenten Vorlesungen empfiehlt, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch bestehen werden. Die Erfolge mancher US-Beispiele sind durchaus beeindruckend: Schüler lernen um 50 Prozent mehr als in analogen Klassen, gerade bildungsferne Studierende schließen ihr Studium deutlich häufiger in der Regelstudienzeit ab.

 

Wie weit sind wir in puncto digitaler Bildung?

Ralph Müller-Eiselt: Verglichen mit den USA, aber auch Asien oder Südamerika, stehen wir noch ganz am Anfang. Zwar gibt es auch bei uns einzelne Pioniere in Klassenzimmern und Hörsälen, die innovative Technologie nutzen, um individuell zugeschnittenes Lernen zu ermöglichen. Das beruht aber vor allem auf viel persönlichem Einsatz. Ganze Schulen, Hochschulen oder gar das Bildungssystem hat die Digitalisierung noch nicht erreicht.

 

Industrie 4.0 ist DIE gelebte Herausforderung für viele Wirtschafts- und Industriezweige. Warum hinkt die Innovationsdynamik in der Bildung noch hinterher?

Ralph Müller-Eiselt: In anderen Ländern ist der Veränderungsdruck viel größer als bei uns. In Amerika explodieren die Bildungskosten, mancherorts betragen die Studiengebühren 50.000 Dollar pro Jahr. Und in den Schwellenländern mangelt es oft schlicht an Lehrern oder Gebäuden. Wo Schulen und Hochschulen zu teuer oder gar nicht vorhanden sind, ist digitales Lernen allein deshalb eine attraktive Alternative. In Deutschland und Österreich sind Kosten und Zugang glücklicherweise kein akutes Problem – da scheint Veränderung dann nicht so dringlich.

 

Viele sehen in der Digitalisierung das Problem. Ist sie nicht eher die Lösung für viele Probleme?

Ralph Müller-Eiselt: Absolut. Das ist vor allem eine Frage der Haltung. Pädagogen und auch die Politik müssen verstehen, dass Digitalisierung kein neues Problem ist, sondern Teil der Lösung. Ganztagsschulausbau, Inklusion, die wachsende Zahl und Vielfalt der Studierenden – all diesen Herausforderungen lässt sich mit digitalen Methoden viel besser gerecht werden.

 

Mit dem „Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann Stiftung gibt es erstmals eine umfassende und repräsentative Studie zum Stand des digitalisierten Lernens in den verschiedenen Bildungssektoren in Deutschland. Wie steht es da um die Erwachsenenbildung?

Ralph Müller-Eiselt: Die Ergebnisse für diesen Bildungssektor werten wir derzeit noch aus. Es lässt sich aber beobachten, dass die digitale Bildungsrevolution in der unternehmensnahen Weiterbildung früher begonnen hat. In einigen Firmen gilt bereits das „Online first“-Prinzip: Das digitale Angebot ist die Regel, wer noch eine traditionelle Fortbildung besuchen will, muss das extra begründen.

 

Welche Rolle spielen die Lehrenden in der digitalen Zukunft des Lernens?

Ralph Müller-Eiselt: Ohne digital kompetente Lehrkräfte werden wir keine digital kompetenten Schüler bekommen. Deshalb ist eine verpflichtende medienpädagogische Ergänzung der Lehrerausbildung nötig. Geschult werden müssen aber nicht nur die künftigen Lehrkräfte, sondern auch die jetzigen.

 

Das Interview ist im WIFI-Magazin LENA hier erschienen.