Begriffe wie E-Lecture, Massive Open Online Course (MOOC) oder Open Educational Resources (OER) sind inzwischen zu festen Bestandteilen der Bildungsdebatte geworden. Lernen findet zunehmend virtuell statt, Learning-Apps werden immer besser und in den Schulen wird mit neuen didaktischen Ansätzen wie dem Flipped Classroom experimentiert. Doch wie gut sind die Bildungsinstitutionen in Deutschland darauf vorbereitet? Welche Verbreitung haben digitale Lerntechnologien und wie werden sie eingesetzt? Trägt die Digitalisierung zu mehr Chancengerechtigkeit bei oder vergrößert sie sogar soziale Unterschiede in der Teilhabe?

Um solche Fragen endlich empirisch fundiert beantworten zu können, hat der Monitor Digitale Bildung der Bertelsmann Stiftung in den vergangenen beiden Jahren eine umfassende und repräsentative Datenbasis zum Stand des digitalisierten Lernens in den verschiedenen Bildungssektoren in Deutschland geschaffen. Der Monitor befragt Lernende, Lehrende sowie (politische) Entscheider in allen Bildungsbereichen und lenkt mit dieser 360-Grad-Perspektive die oft technik- und gefahrendominierte Debatte auf die Kernfragen: Welche Impulse können digitale Technologien zur Verbesserung des Lernens und für neue didaktische Konzepte geben? Wie kann digitales Lernen benachteiligte Lerner fördern und den Zugang zu guter Bildung insgesamt erhöhen? Wie lassen sich Lehrkräfte sinnvoll auf den Einsatz – und ggf. die Erstellung – digitaler Bildungsmedien vorbereiten und in der Praxis unterstützen? Nachfolgend stellen wir eine Auswahl der wichtigsten Ergebnisse dar, die sich mit dem schulischen Sektor befassen. Das betrifft die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung an Grundschulen sowie die Befragungen an weiterführenden Schulen und Berufsschulen.

Grundschulen: Engagement einzelner Lehrkräfte entscheidend

Bereits unter Grundschulkindern sind digitale Medien weit verbreitet. Oft gehen schon Vorschulkinder virtuos damit um: Viele Geräte lassen sich so intuitiv bedienen, dass sogar Zweijährige blitzschnell begreifen, wie sie eine App auf dem Tablet öffnen können. Eltern machen sich zu Recht Gedanken über den Umgang mit Medien, den sie ihren Kindern vermitteln wollen. Denn schon im Grundschulalter stellt sich die Frage, ob, wann und wie Kinder im Internet aktiv sein sollten.

Jedes zweite Kind im Alter von sechs bis sieben Jahren sucht wöchentlich im Internet nach schulbezogenen Themen. Das belegt die aktuelle KIM-Studie, die regelmäßig die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland erfragt. Bei Acht- bis Neunjährigen sind es schon 60, bei Zehn- bis Elfjährigen sogar 75 Prozent. Auch das Smartphone wird schon in jungen Jahren regelmäßig benutzt: Unter den Sechsjährigen greifen etwa 42 Prozent täglich zum mobilen Endgerät.

Es gibt bisher jedoch nur wenige Grundlagenstudien, die sich mit der Nutzung digitaler Medien in den Grundschulen befasst. Die qualitativ angelegte Grundschul-Befragung des Monitor Digitale Bildung sollte hierzu einen Beitrag leisten. Befragt wurden in zwölf Gruppendiskussionen 98 Grundschüler im Alter von acht bis zehn Jahren aus zwölf Schulen in fünf Bundesländern. Es wurden Grundschulen ausgewählt, die sich in ihren konzeptionellen Ausrichtungen, regionalen Bedingungen und dem sozialen Umfeld unterscheiden.

Im Ergebnis zeigte sich, dass der Einsatz digitaler Medien in der Grundschule fast ausschließlich vom Engagement einzelner Lehrer und der Schulleitung abhängt. Ob und wie Grundschulkinder mit digitalen Medien lernen, wird durch die persönlichen Interessen, Überzeugungen und Kompetenzen ihrer Lehrer bestimmt. Allerdings nutzen auch Kinder, in deren Schulen digitale Medien seltener eingesetzt werden, in ihrer Freizeit oft selbständig Lernanwendungen und digitale Tools, die ihnen helfen, Aufgaben spielerisch zu lösen. Dabei kontrollieren die meisten Eltern, mit welchen digitalen Inhalten ihre Kinder sich beschäftigen und wie lange sie mit digitalen Medien arbeiten.

Für die Grundschüler sind digitale und analoge Medien dabei kein Gegensatz. Viele Kinder lesen in der freien Lernzeit in der Schule zum Beispiel gerne Bücher. Digitale Tools sind für sie nur eine ergänzende Alternative. Die technische Ausstattung der Schulen variiert dabei erheblich. So gibt es sowohl Schulen, die einen zentralen Computer-Raum haben, der mit Standcomputern ausgestattet ist, als auch solche, in denen in jedem Klassenraum ein oder mehrere PCs, teilweise sogar Tablets vorhanden sind. Die Nutzung eigener Handys hingegen ist an allen Grundschulen der Stichprobe ausnahmslos verboten.

Weiterführende Schulen: Viele Potenziale bleiben ungenutzt

Die weiterführenden Schulen sind der mit Blick auf digitales Lernen wohl am intensivsten erforschte Bildungsbereich. Größere Bekanntheit auch jenseits der Fachöffentlichkeit haben hier die KIM-Studie und die JIM-Studie erreicht. Die größte Reichweite dürfte die ICIL-Studie erzielt haben, die die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern ebenso wie von Lehrkräften international vergleicht.

Die vertiefte Analyse des Monitor Digitale Bildung für Deutschland zeigt u. a., dass Videos bei Schülern das beliebteste digitale Lernmedium zum Lernen in der Freizeit sind (76 Prozent). Dicht darauf folgen freie Enzyklopädien (Wikis), wie zum Beispiel Wikipedia. Wenn Lehrer digitale Medien einsetzen, dann verwenden auch sie häufig Videos (72 Prozent) und Wikis (51 Prozent), gefolgt von Präsentations- und Bürosoftware wie PowerPoint und Word. Allerdings zeigen sie sich hier insgesamt zurückhaltender als ihre Schüler. Die Mehrheit der Schüler würde auch gerne im Unterricht öfter mit Videos arbeiten, da sie dies zum Lernen motiviert.

Lehrer und Schulleiter nehmen Digitalisierung bislang vor allem als eine zusätzliche Herausforderung wahr. Dabei können nur 15 Prozent der Lehrer als versierte Nutzer digitaler Medien eingeordnet werden. Nur wenige erkennen (und nutzen) folgerichtig das volle didaktisch-methodische Potenzial von Digitalisierung im Unterricht – zum Beispiel mit Blick auf Inklusion, individuelle Förderung oder Ganztagsgestaltung. Nicht mal jeder vierte Lehrer glaubt daran, dass digitale Medien dabei helfen, den Lernerfolg ihrer Schüler zu verbessern. Unter den Schulleitern ist es kaum jeder fünfte. Die Mehrheit der Lehrer und Schulleiter sieht die Chancen des digitalen Wandels stattdessen hauptsächlich darin, administrative Aufgaben besser bewältigen zu können oder das Schulimage zu verbessern. Gut 70 Prozent der Lehrer und Schulleiter sind der Überzeugung, dass digitale Medien die Attraktivität ihrer Schule steigern.

Dennoch behandelt kaum eine Schule die Digitalisierung als strategisches Thema. Nur 8 Prozent der Schulleiter messen ihr eine strategische Bedeutung zu. Die meisten Schulen haben bislang weder ein Konzept für den Einsatz digitaler Lernmittel entwickelt noch reflektieren sie den digitalen Wandel als Bestandteil ihrer systematischen Schul- und Unterrichtsentwicklung. In der Regel entscheiden die Lehrer selbst, ob und wenn ja welche digitalen Medien sie einsetzen. Auch ihre entsprechende Weiterbildung müssen sie sich zumeist selbst organisieren. Die Befragten sehen überwiegend sich selbst oder ihre Kollegen als Initiatoren des digitalen Wandels in Schulen. Das lässt große Potenziale der Digitalisierung im Lösungsraum strategischer Schulentwicklung ungenutzt, insbesondere mit Blick auf die systematische individuelle Förderung mithilfe digitaler Medien.

Fast die Hälfte aller Lehrer ist mit der technischen Ausstattung an ihrer Schule nicht zufrieden. Noch häufiger beklagen sie den fehlenden IT-Support (58 Prozent). Das Urteil der Schulleiter zur technischen Ausstattung ihrer Schulen fällt sogar noch schlechter aus als das der Lehrer. Immerhin nur noch 21 Prozent der Lehrkräfte geben an, an ihrer Schule überhaupt kein WLAN zur Verfügung zu haben. Allerdings sind auch nur 37 Prozent mit der Qualität des vorhandenen WLANs mehr oder weniger zufrieden.

Berufsschulen: Konzeptionelles Vakuum

Während über die Digitalisierung in weiterführenden Schulen und Hochschulen viel debattiert wird, steht der Bereich beruflicher Ausbildung deutlich weniger im Fokus. Seit 2011 wurden in Deutschland knapp 40 Untersuchungen zur Digitalisierung der allgemeinbildenden Schulen durchgeführt. Diesen stehen nur wenige Studien gegenüber, die sich mit der Berufsausbildung befassen.

Für viele Industrie- und Wirtschaftsbereiche sind Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung unter dem Stichwort Industrie 4.0 bekannt. Beim Lernen und Lehren hat der digitale Wandel weit weniger Einzug in die Berufsschulen gehalten. Ausbilder und Berufsschullehrer pflegen einen eher nüchternen und pragmatischen Blick auf das digitale Lernen. Der Einsatz digitaler Lernmedien im Ausbildungssystem folgt vorrangig alten didaktischen und methodischen Konzepten. Potenziale wie etwa die bessere individuelle Förderung auch von leistungsschwächeren Auszubildenden kommen dadurch noch kaum zur Geltung.

Teilhabechancen für benachteiligte Gruppen bleiben so oft ungenutzt.  Dabei ließen sich insbesondere jüngere, männliche Auszubildende mit einem niedrigen Schulabschluss durch digitales Lernen gut motivieren. Internetrecherchen, Lernspiele, Apps und das Erstellen eigener Inhalte sind für diese Zielgruppe attraktiv. Weder in der Berufsschule noch in den Ausbildungsbetrieben werden diese Chancen für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit aber gezielt ergriffen.

Auszubildende sind dem Einsatz digitaler Lernmedien gegenüber generell aufgeschlossener als ihre Lehrkräfte in der Berufsschule. Beim Lernen in ihrer Freizeit nutzen sie gerne digitale Medien und wünschen sich auch mehr davon für den schulischen Unterricht. Dabei erwarten sie explizit einen sinnvollen Methodenmix analoger und digitaler Elemente. Ob und wie digitales Lernen eingesetzt wird, hängt aber ähnlich wie in den weiterführenden Schulen auch in den Berufsschulen ganz erheblich von den Überzeugungen und dem individuellen Engagement der einzelnen Lehrkräfte ab. Vorreiter sind hier interessanterweise nicht so sehr die Berufseinsteiger, sondern vor allem Lehrkräfte mit längerer Berufserfahrung. In der Breite fehlen hingegen noch Orientierungshilfen, um die vielfältigen Möglichkeiten des digitalen Lernens kennenzulernen und zu erproben.

Viele Berufsschullehrer beklagen sowohl zeitliche als auch finanzielle Hürden beim Einsatz digitaler Medien im Unterricht. An Berufsschulen steht oft noch die Ausstattungsfrage im Vordergrund. Zwar sind viele Berufsschulen mittlerweile mit Whiteboards und PCs ausgestattet. Wenn es um Smartphones und Tablets geht, kommen überwiegend Schülergeräte zum Einsatz. Eine hinreichend gute Internetanbindung ist jedoch noch die Ausnahme. Etwa zwei Dritteln der Berufsschullehrer steht für den Unterricht kein oder nur unzureichendes WLAN zur Verfügung. So können weder mitgebrachte noch vorhandene Geräte sinnvoll eingesetzt werden.

Fazit: Digitalisierung als Lösung statt Problem begreifen

Die Ergebnisse des Monitor Digitale Bildung für den Schulbereich zeigen: Es gibt nicht die eine richtige Strategie für gutes digitales Lernen. Insbesondere reicht es nicht aus, alte didaktische Ansätze zu digitalisieren. Denn beim Einsatz digitaler bzw. analoger Medien geht es nicht um ein entweder – oder, sondern um ein sowohl – als auch. Wichtig ist dabei, die Digitalisierung des Lernens nicht als zusätzliches Problem, sondern als ein Spektrum von Lösungsansätzen zu begreifen, die auf bereits bestehende Herausforderungen im pädagogischen Alltag einzahlen. Dazu braucht es gut durchdachte und auf die einzelne Schule abgestimmte Konzepte, einen gemeinsam getragenen Willen zur Veränderung durch das Kollegium und sicher auch in vielen Fällen noch externe Beratung.

Das entstandene Gesamtbild ist das eines Schulsystems, das sich zwar intensiv mit der Digitalisierung befasst und gerade mit Blick auf eine angemessene technische Ausstattung zunehmend aktiv wird. Es zeigt sich aber auch, dass wichtige Aspekte der Digitalisierung nur unzureichend bis gar nicht gelöst sind: Allen voran gilt es, den entscheidenden Hebel der notwendigen Qualifizierung der Pädagogen entschlossen anzugehen. Denn digitales Lernen an Schulen steht und fällt mit der Aktivität des Lehrpersonals und der Schulleitung. Aber auch Fragen der strategischen Schulentwicklung ebenso wie unzureichende Transparenz über die Qualität digitaler Lernmaterialen oder erhebliche Mängel bei IT-Administration und -Support müssen zeitnah gelöst werden.

Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form erstmals erschienen in: Nele McElvany et al. (Hrsg.): Digitalisierung in der schulischen Bildung. Chancen und Herausforderungen, Waxmann 2018