Die Corona-bedingten Schulschließungen haben in den zurückliegenden Wochen und Monaten die Bildungslandschaft vor große Herausforderungen gestellt – Lehrkräfte, Eltern und auch Schülerinnen und Schüler. Obwohl inzwischen der Präsenzunterricht für vereinzelte Jahrgänge wieder begonnen hat, wird uns das Distanzlernen noch länger begleiten. Daher ist es nun notwendig, entsprechende Schlüsse aus der aktuellen Situation zu ziehen und unser Schulsystem bestmöglich auf eine Mischung aus Präsenz- und Distanzunterricht vorzubereiten. Erste empirische Erkenntnisse müssen dafür die Grundlage bilden. Viele Institutionen haben gleich zu Beginn der Krise erste Umfragen gestartet und so versucht, die spezifische Situation von Lehrkräften, Familien und Kindern einzufangen (hier ist anzumerken, dass die meisten Umfragen noch vor Ostern erhoben wurden). Inzwischen liegt jedoch eine so große Anzahl an Umfrageergebnissen vor, dass die Befundlage unübersichtlich zu werden droht. Eine Reihe von Blogbeiträgen soll daher die wichtigsten Erkenntnisse aus den Umfragen zusammentragen, in Verbindung zueinander setzen und wichtige Schlussfolgerungen ableiten. In dieser Woche starten wir mit dem ersten Beitrag, welcher die digitale Ausstattung von Schülerinnen und Schülern genauer in den Blick nimmt.

Erste Umfragen zeigen: Digitale Ausstattung ist das größte Problem im Homeschooling

Die Corona-Krise fungiert als Brennglas für ein inzwischen altes und leidiges Thema im deutschen Bildungsdiskurs: die digitale Ausstattung der Schülerinnen und Schüler. Erste Umfragen zeigen nun, dass dies für Lehrkräfte das größte Problem im Distanzunterricht darstellt. Zudem verfestigen aktuelle Erhebungen die Erkenntnis, dass digitale Ausstattung und häusliche Lernbedingungen sehr heterogen sind.

Digitale Endgeräte sind nicht überall vorhanden

Das deutsche Schulbarometer Spezial [1], eine repräsentative Befragung von Lehrkräften, zeigt, dass 28 Prozent der Lehrkräfte den Mangel an digitaler Ausstattung bei den Schülerinnen und Schülern als aktuell größte Herausforderung sehen. Erst an zweiter und dritter Stelle finden sich die Vermittlung geeigneter digitaler Unterrichtsinhalte sowie die Kommunikation mit Eltern und Kindern.
Hinzu kommt, dass ohnehin leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler laut einer aktuellen Auswertung[2] des DIW eine bessere digitale Ausstattung vorfinden. Während weniger als zwei Prozent der leistungsstärkeren Schüler:innen[3] über keinen Internetzugang zu Hause verfügen, gilt dies für gut sechs Prozent der leistungsschwächeren Schüler:innen. Zudem haben 13 Prozent der leistungsschwächeren Schüler:innen keinen PC oder Laptop im Haushalt, während dieser Anteil bei den leistungsstärkeren Schüler:innen elf Prozent beträgt.
Eine aktuelle Auswertung[4] von SOEP Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft verdeutlicht zudem die gravierenden Unterschiede in der Verfügbarkeit digitaler Endgeräte sowie Lernmaterialien bei Schülerinnen und Schülern. Immerhin verfügen zwar fast neun Zehntel aller befragten Kinder über Lernsoftware und/oder zusätzliche Bücher mit Bezug zum Schulstoff. Betrachtet man die einzelnen Familienformen, stellt sich die Lage bei den Kindern in Familien mit Migrationshintergrund und in bildungsfernen Familien allerdings deutlich ungünstiger dar. Insbesondere stechen hier Anteile von unter 60 Prozent bei der Frage nach Büchern zum Schulstoff und Lernsoftware heraus.
Zugang zu einem PC oder Laptop haben ebenfalls jeweils rund neun Zehntel der Zwölf- und Vierzehnjährigen. Allerdings finden sich für die Kinder in Familien im ALG II-Bezug und in bildungsfernen Familien erneut deutlich niedrigere Werte. Wiederum anders stellt sich die Lage dar, wenn man statt des Zugangs die Frage in den Blick nimmt, ob die Kinder ein Gerät für sich allein haben: Über einen eigenen PC oder Laptop verfügen nur 27 Prozent der Zwölfjährigen und 41 Prozent der Vierzehnjährigen. Auch wenn man das Tablet mit einbezieht, fallen die Anteile mit 42 Prozent und 50 Prozent noch vergleichsweise niedrig aus. Erwähnt werden sollte hier zudem auch, dass der Besitz eines Computers allein nicht ausreicht, um ihn sinnvoll nutzen zu können. Die entsprechenden digitalen Kompetenzen von Schülern stehen in einem sehr engen Zusammenhang mit ihrem sozialen Status[5].

Ungleiche Wohnverhältnisse erschweren ungestörtes Arbeiten

Zusätzlich zur digitalen Ausstattung ist auch das häusliche Lebensumfeld der Kinder von großer Relevanz. Dies wird zu bedeutenden Teilen von der Größe der elterlichen Unterkunft bestimmt. So können sie sich deutlich freier entfalten, wenn es hier Orte gibt, wo sie sich im Spiel ausbreiten und gegebenenfalls etwas lauter werden können, ohne damit andere Familienangehörige zu stören. Gleichzeitig sind auch ruhige Plätze wichtig, wo Kinder konzentrierten Beschäftigungen nachgehen können. Die bereits erwähnte SOEP-Auswertung zeigt, dass die Hälfte der Familien mehr als ein Zimmer je Haushaltsmitglied zur Verfügung hat. Mindestens ein Zimmer haben mit 80 Prozent sogar rund vier Fünftel. In den meisten Fällen ist es also grundsätzlich möglich, dass sich die Kinder allein in einem Raum aufhalten, auch wenn alle Familienmitglieder zu Hause sind. Allerdings stellt sich die Lage bei den Mehrkindfamilien deutlich ungünstiger dar. So verfügt hier nur rund die Hälfte über mindestens genauso viele Zimmer, wie es Familienangehörige gibt. Vergleichsweise niedrige Anteile finden sich auch bei den bildungsfernen Familien mit 59 Prozent und bei den Familien mit Migrationshintergrund mit 61 Prozent. Immerhin hat mit 90 Prozent der weit überwiegende Teil der Zwölfjährigen einen Schreibtisch für sich allein. Allerdings stellt sich auch hier die Lage bei den Kindern aus Familien im ALGII-Bezug mit 69 Prozent und bei den Kindern aus bildungsfernen Familien mit 72 Prozent deutlich ungünstiger dar, als bei den anderen.

Endlich digitale Chancengerechtigkeit schaffen

Was ist nun zu tun? Der Digitalpakt muss dringend umgesetzt werden. Die kurzfristige Bereitstellung von 500 Millionen Euro für die Krise wird nicht reichen. Zusätzlich zur benötigten digitalen Infrastruktur, bei der auch der Support mitgedacht werden muss, bedarf es mobiler Endgeräte für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler sowie Zugang zu schnellem, mobilen Internet, unabhängig von der Ausstattung im Elternhaus. Außerdem muss die Lehrmittelfreiheit auch auf digitale Angebote ausgeweitet werden. Eine Ausstattung aller Schüler:innen mit notwendigen digitalen Lernmitteln, u.a. Endgeräten, die über einen identischen Funktionsumfang verfügen, muss zum Regelangebot werden – unter sozial gerechter Kostenbeteiligung der Eltern. Dabei kann diskutiert werden, ob Schüler:innen bereits ab der Grundschule oder erst ab der 5. Schulstufe mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden sollen.
Kurz- und mittelfristig müssen für die nunmehrige langsame Rückkehr zum Präsenzunterricht vor allem Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Schichten die notwendige Unterstützung bekommen. Die Bereitstellung gedruckter Materialien sowie regelmäßiger Kontakt können helfen. Um die Motivation aufrechtzuerhalten und Feedback zu Lernaufgaben zu geben, sollten vermehrt Videotools eingesetzt werden – hier kann dann auch das Smartphone Abhilfe schaffen. Um räumlichen Einschränkungen zu begegnen, können öffentliche Einrichtungen, wie zum Beispiel Bibliotheken, genutzt werden und somit einen Lernort für Kinder ohne Rückzugsmöglichkeiten im Elternhaus darstellen. Diese können nicht nur als räumliche Ressource dienen, sondern auch den Zugang zu notwendigen digitalen Endgeräten ermöglichen.
In der aktuellen Krise wird sich die Schere zwischen Kindern aus benachteiligten und privilegierten Schichten unausweichlich weiten. Jedoch müssen wir alles dafür tun, diese wachsende Kluft so gering wie möglich zu halten. Endlich Chancengerechtigkeit in Bezug auf die Ausstattung mit digitalen Endgeräten und Lernmaterialien herzustellen, ist dafür das Mindeste.

[1] https://deutsches-schulportal.de/unterricht/das-deutsche-schulbarometer-spezial-corona-krise/
[2] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.758242.de/diw_aktuell_30.pdf
[3] basierend auf der durchschnittlichen Schulnote wird zwischen leistungsstärkeren (Note 2 und besser), und leistungsschwächeren Schüler:innen unterschieden.
[4] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2020/IW-Report_2020_Haeusliche_Lebenswelten_Kinder.pdf
[5] https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/erziehungswissenschaft/Schulpaedagogik/ICILS_2018__Deutschland_Berichtsband.pdf