Der Ganztag ist keine neue Erfindung mehr. Mittlerweile hat die Politik verstanden, wie wichtig der Ganztag für Kinder und Jugendliche und ihre Familien ist – und führt den Anspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule ein. Der Ganztag erfüllt dabei eine wichtige Betreuungsfunktion, wenn (beide) Eltern arbeiten gehen müssen. Aber der Ganztag hat auch einen anderen Auftrag: Bildung. Dieser Auftrag gerät leider öfter in den Hintergrund. Eine gute Ganztagsschule macht nicht den ganzen Tag Frontalunterricht, sondern formalisierte Lernphasen und Sport- und Freizeitangebote (in denen unweigerlich auch gelernt wird, oft sogar sehr wichtige Dinge) wechseln sich ab. Wir wissen alle, dass das leider noch nicht flächendeckend der Fall ist. Das macht einen Ganztag zu einem einzigartigen Experimentierfeld innerhalb des Schulsystems, das wir viel stärker nutzen könnten.

Ein Aspekt, der leider in der Schule fast immer zu kurz kommt, ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Wir machen zum Glück Fortschritte: Klassenräte, die UN-Kinderrechtskonvention in Lehrplänen und Beschwerdesysteme sind aber das Ende vom Anfang und nicht der Anfang vom Ende. Wagen wir doch mal Neues und nutzen den Ganztag als Erfahrungsraum!

Und weil es langweilig ist, immer im Kleinen zu denken, denken wir doch mal groß – und anders, als Schule und Ganztag meistens heute läuft.

Ich fange mal mit einem Beispiel an, dass vielen wohl am wenigsten umsetzbar scheint: ein selbstverwalteter Ganztag. Vielleicht kennen Sie selbstverwaltete Jugendzentren: Kinder und Jugendliche entscheiden ohne Fachkräfte im Konsens, welche Angebote es geben soll, und führen diese selber durch. Selbstverwaltung ist geprägt von Verantwortung und einem demokratisch-partizipatorischen Anspruch. So wird die Konsummentalität abgelegt und die Selbstbildung in den Vordergrund gestellt. Schule könnte so eine positive und bestärkende Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen, die heute häufig auf der Strecke bleibt. Die im Ganztag erlernten Prinzipien könnten auch im Unterricht auf die Mentalität der Schüler*innen übergehen. Wenn Jugendliche und Kinder es schaffen, selbst einen Ganztag zu gestalten, werden mit Sicherheit auch in der klassischen Schule am Vormittag immer demokratischere Wege beschritten.

Vielleicht denken Sie jetzt als Erstes an die Aufsichtspflicht und all die Anstrengungen, die mit einem solchen Konzept einhergehen. Verständlich! Aber fangen Sie doch im Kleinen an. Machen Sie einen Tag lang kein Angebot von „Schulseite“, sondern lassen die Kinder entscheiden, worauf sie Lust haben. Fragen Sie sie, was sie heute interessiert hat, worauf sie neugierig sind. Lassen Sie Ältere gemeinsam mit jüngeren Kindern Projekte anbieten. Binden Sie den Sozialraum ein: die Kinder spielen Fußball – vielleicht kann ein lokaler Verein ja Stunden anbieten.

Ein anderes Modell, das zumindest in manchen Schulen in Deutschland schon angewandt wird, ist: Schulversammlungen – oder in unserem Fall Ganztagsversammlungen- in denen alle Erwachsenen und alle Schüler*innen genau eine Stimme haben und gleichberechtigt Entscheidungen treffen. Egal ob das nächste Mittagessen, Ausflüge oder Personaleinstellungen – alle entscheiden gemeinsam. Auch hier steht Verantwortungsbewusstsein im Vordergrund, doch die Entstehung eines Gruppengefühls und Aushandlungsprozesse sind ebenso ein wichtiger Teil der Lernerfahrung. Auch hier geht es natürlich noch kleiner: Kinder können einen eigenen Essensplan entwickeln und sich ganz nebenbei mit gesunder Ernährung beschäftigen. Oder die Schüler*innen dürfen beim nächsten Vorstellungsgespräch ihre Fragen stellen – ein Vorstellungsgespräch kann zweigeteilt sein, eines nur mit der Leitung und eines gemeinsam mit den Kindern. Bei der nächsten baulichen Veränderung könnten die Schüler*innen im ganzen Prozess von Beginn an aktiv mitgestalten, statt zum Schluss vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

Von diesen „großen Visionen“ sind die meisten deutschen Schulen leider noch weit entfernt. Ein Ganztag, in dem heute noch kaum Partizipation stattfindet, lässt sich morgen kaum von Kindern und Jugendlichen völlig selbst verwalten. Aber das Ziel vor Augen zu haben – nämlich größtmögliche Selbstbestimmung und die Anerkennung von Kindern als Selbstdenkende und handlungsfähige Wesen – sollte zur Priorität werden. Fangen Sie irgendwo an. Nur aus der Erfahrung und aus Fehlern können Sie lernen!


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