Fachleute sprechen davon, dass die Schule abseits ihrer grundsätzlichen Aufgaben auf vier Querschnittsthemen pädagogische und organisatorische Antworten finden muss, um die Zukunftsfähigkeit und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Dabei handelt es sich um die Herausforderungen rund um die Digitalisierung, die verstärkte Integration der komplexen Nachhaltigkeitsthemen, die Förderung von Inklusion bzw. Heterogenität und um das große Themenfeld der Wertebildung. Unter dem letztgenannten Punkt ist u. a. die Fragestellung zu subsumieren, wie in der Schule die Demokratie gestärkt und dort eine diskriminierungsfreie Bildung verwirklicht werden kann.

Diesbezüglich müssen wir uns nichts vormachen: In einer Gesellschaft, in der gegenwärtig zu viele Menschen demokratische Werte erstaunlich leichtfertig in Frage stellen, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit in allen Schulformen täglich zu politischen Provokationen und diskriminierenden Situationen kommen. Eine Verbreitung rassistischer Parolen, Äußerungen von Vorurteilen gegenüber Minderheiten, rechts- oder linksextremistische Positionierungen, religiöse Intoleranz oder der Gebrauch von nationalsozialistischen Symbolen sind nur einige Beispiele dafür, wozu sich Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter:innen und andere Verantwortliche in Schulen regelmäßig verhalten können müssen.

Einer offensichtlichen antidemokratischen Provokation zu begegnen, ist nur im Ausnahmefall Bestandteil der Lehrkräfteausbildung und erfordert zudem ein hohes Maß an Zivilcourage. Entsprechend hat der Jenaer Historiker Norbert Frei jüngst in der Tagespresse (Süddeutsche Zeitung vom 3. März 2022) beklagt, dass wir nicht genau wüssten, wie viel antidemokratisches Denken „durch deutsche Klassenzimmer wabert“, wir aber Lehrkräften pädagogisches Handwerkszeug vermitteln und sie in ihrer demokratischen Haltung stärken müssten, damit sie diesen Vorkommnissen effektiv begegnen könnten.

Das Projekt „Demokratiekosmos Schule DEKOS“ der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bertelsmann Stiftung zeigt mit einem kostenlosen digitalen Weiterbildungsangebot, wie sich Schulen diesen Herausforderungen stellen und in Situationen, die nicht unseren demokratischen Werten entsprechen, sicher und angemessen reagieren können.

 

Worauf es ankommt – Hinweise für angemessenes Vorgehen bei antidemokratischen Vorkommnissen in der Schule

Um zu illustrieren, wie DEKOS Selbsthilfe in brenzligen Situationen mit anwendungsorientiertem Know how für Lehrkräfte verbindet, seien hier die Vorschläge des Vorgehens bei akuter Handlungsnotwendigkeit vorgestellt:

  • Nie ignorieren: Immer auf antidemokratische Vorfälle und Beleidigungen reagieren. Sonst könnten die Beteiligten ein Ignorieren als Akzeptanz deuten.
  • Am Ball bleiben: Wenn man die Sachlage spontan nicht thematisieren kann, sollten Lehrkräfte zumindest deutlich machen, dass sie das Thema wieder aufgreifen werden. Damit machen sie die Relevanz der Situation deutlich und behalten die Handlungsmacht. Lehrer:innen sollten sich in der Zwischenzeit zum Sachverhalt kundig machen.
  • Die Aktion stoppen und das Stopp begründen: Ebenso wichtig wie das Unterbinden der Tat ist eine Begründung, warum die Lehrkraft die Aktion gestoppt hat.
  • Dem Schutz Betroffener Priorität geben – Empathie und Fürsorge zeigen: Die betroffene Person schützen und ihr Sicherheit vermitteln. Dies ist ein Zeichen an die ausübende Person, und die Botschaft lautet in einem solchen Fall: Schule und Klassenraum müssen für alle ein sicherer Ort sein.
  • Einen Schutzraum schaffen: Der betroffenen Person ggf. anbieten, gemeinsam die Gruppe zu verlassen. Soweit im Rahmen der Schulorganisation möglich, ist eine weitere Option, die ausübende Person aufzufordern, den Ort zu verlassen. Wenn der Tatort wegen der Aufsichtspflicht nicht verlassen werden kann, kann man beispielsweise zwei Personen aus der Klasse zum Sekretariat oder Lehrkräftezimmer schicken mit der Bitte um kollegiale Unterstützung.

Über die akuten Handlungsnotwendigkeiten hinaus gilt:

  • Klärung des konkreten Problems und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Thematik aufrechterhalten.
  • Zu allen Gelegenheiten antidiskriminierende Haltungen stärken und dabei alle einbinden.
  • Kein „Zwangsouting“: Nicht von Lernenden einfordern, dass sie sich öffentlich hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in religiöser, sexueller, politischer, „ethnischer“ und anderer Hinsicht bekennen. Was zählt, ist das individuelle Handeln der Jugendlichen.
  • Nicht alles gleichzeitig! Wenn nach einem diskriminierenden Vorfall insbesondere die Betroffenen geschützt werden sollen, kann man nicht zeitgleich den Konflikt thematisieren und Lernangebote machen. Auch wenn der Zeitdruck groß ist: Man sollte versuchen, gut abzuwägen und die notwendigen Handlungsanforderungen zu priorisieren. Sich Klarheit darüber schaffen, was als Erstes getan werden muss, und dann Schritt für Schritt den anderen Anforderungen nachkommen.

 

Zielsetzungen und Aufbau von DEKOS

Die Hinweise zum angemessenen Vorgehen bei antidemokratischen Vorkommnissen sind nur ein Ausschnitt aus der Fülle an Materialien, die das Projekt Schulen digital zur Verfügung stellt. Insgesamt verfolgt DEKOS die Zielsetzung, Lehrkräften dort Unterstützung zu geben, wo antidemokratische Probleme auftauchen – in einer unbedachten Äußerung, in einer gezielten Beleidigung, in einer eskalierenden Situation. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betreffen sie alle Unterrichtsfächer und das soziale Leben in der Schule insgesamt. Das Projekt wendet sich deshalb an Schulleitungen, Lehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen und adressiert die siebte bis 13. Jahrgangsstufe. DEKOS lässt sich auch in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung einsetzen.

Das Angebot des Projekts gliedert sich in zwei inhaltliche Themen:

  1. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
    DEKOS informiert über das Konzept „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Es fasst die Einstellungen in den Bereichen Rassismus, Extremismus, Diskriminierung und Sozialdarwinismus in eine integrative Zusammenschau. Wir ermutigen Lehrkräfte unseren fokussierten Ansatz bei akuten Anlässen auf andere antidemokratische Varianten zu übertragen.
  2. Antisemitismus und Rechtsextremismus
    Mit dieser Themensetzung vertieft DEKOS zwei Komplexe antidemokratischer Phänomene. Das digitale Unterstützungsangebot greift zwei Unterrichtsfallbeispiele aus diesen Bereichen auf. Wie das Beispiel „Akutes Eingreifen“ bereits zeigt, stehen hier die Handlungsmöglichkeiten von Lehrkräften im Mittelpunkt.

Selbstlernprozesse und die pädagogische Praxis von Lehrkräften stehen im Mittelpunkt des Projektes. Bei den der schulischen „Normalität“ entlehnten Beispielen steht das exemplarische Lernen im Fokus. Durch eine inhaltliche Zuspitzung regt DEKOS zur Reflexion an und fördert die Entwicklung angemessener pädagogischer Strategien. Dabei werden kurz-, mittel- und langfristige Handlungsoptionen für die Schule und den Unterricht vorgestellt.

Das Weiterbildungsangebot favorisiert exemplarisches Lernen auf der Basis multiperspektivischer Fallbetrachtungen. Es ist modular aufgebaut und ermöglicht den Lehrkräften einen individuellen Lernpfad einzuschlagen. Je nach den eigenen Bedürfnissen kann zwischen Wissensbausteinen, Handlungsempfehlungen, Leitfäden, Checklisten sowie unterrichtsunterstützenden Materialien ausgewählt werden.

Die Leitfragen zu den Handlungsoptionen von Lehrkräften lauten:

  • Wann sind pädagogische Interventionen zielführend? In welchen Fällen ist eine juristische Aufarbeitung notwendig?
  • Wie kann man (Unterrichts-) Gespräche über diskriminierende Äußerungen führen?
  • Wie können Lehrkräfte auf die Betroffenenperspektiven eingehen?
  • Wo bekommt man als Lehrkraft Unterstützung?

Seit September 2022 kann auf das Angebot in Form eines „Dossiers“ auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung unter: http://www.demokratiekosmos-schule.de zugegriffen werden.


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