Sicher haben auch Sie besondere Erinnerungen an Lehrpersonen, die Sie besonders gefördert oder gepiesackt, das Interesse für bestimmte Themen geweckt oder im Keim erstickt und Ihren eigenen Lebenslauf auf die eine oder andere Weise mitgeprägt haben. Pädagogische Beziehungen (Beziehungen zwischen Lehrpersonen/Pädagog:innen und ihren Schüler:innen) werden nicht freiwillig eingegangen, sind zielorientiert und hierarchisch geprägt. Trotz der teils sehr kurzen Dauer der Beziehung zeigt sich: Ihr Einfluss auf Interessen, Lernerfolg, Schulmotivation und Bildungsentscheidungen von Heranwachsenden ist immens. Gerade mit Blick auf neue Herausforderungen wie Inklusion, Digitalisierung und Ganztagsbildung werden pädagogische Beziehungen zunehmend als wichtige Qualitätsmerkmale von Schule diskutiert. Als Professorin für soziale Beziehungen in der Schule an der Universität Kassel widme ich mich insbesondere den Fragen, wie sie lernförderlich gestaltet werden können und welche Chancen hier unter anderem die Ganztagsschule bietet.

Der Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule umfasst vielfältige Kompetenzen

Eine optimale Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen auf das Leben nach der Schule erschöpft sich nicht in der Vermittlung von Fachwissen. Ausbildungsbetriebe und Universitäten lenken den Blick längst auf soziale Kompetenzen, Selbstständigkeit sowie die Bereitschaft und Fähigkeit lebenslang zu lernen. Solche überfachlichen Schlüsselkompetenzen werden angesichts des schnellen globalen Wandels und der zunehmenden Komplexität des Wissens immer wichtiger. So spielen im Rahmen der „21st Century Skills“ der OECD u. a. kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation und Zusammenarbeit eine Schlüsselrolle für die Bewältigung und Gestaltung zukünftiger Anforderungen. Diese Fähigkeiten werden nicht nur im Unterricht, sondern auch in weiteren schulischen (und außerschulischen) Bildungsangeboten erworben, wichtig dafür sind bestimmte Rahmenbedingungen und Gestaltungsmerkmale.

Nachhaltiges Lernen erfordert Selbststeuerung, Zusammenarbeit und Wohlbefinden

Lernen, das neben Fachwissen auch die Förderung der beschriebenen Schlüsselkompetenzen unterstützt, wird als nachhaltiges Lernen bezeichnet. Um langfristig den Transfer des Gelernten, selbstständiges Lernverhalten und die Motivation für lebenslanges Lernen zu fördern, muss Lernen in hohem Maße selbstgesteuert und sozial-kooperativ erfolgen. Dies erfordert einen gut strukturierten Rahmen, der Austausch und Zusammenarbeit ermöglicht und den Lernenden Eigenverantwortung überträgt. Wichtig ist: Fähigkeiten und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen werden von früheren Lernerfahrungen und in Lernprozessen erlebten Emotionen beeinflusst. Daher stellt das schulische Wohlbefinden einerseits einen Wert an sich, andererseits eine Voraussetzung für nachhaltiges Lernen dar. Eine positive Haltung zur Schule ist eng mit der wahrgenommenen Qualität der sozialen Beziehungen verknüpft.

Die Qualität pädagogischer Beziehungen bestimmt Lernen, Wohlbefinden und Motivation

Eine Antwort auf die Frage, was Beziehungsqualität ausmacht gibt die Selbstbestimmungstheorie. Kinder und Jugendliche erleben Beziehungen positiv, wenn sie das Gefühl haben aus eigenen Werten und Interessen zu handeln (Autonomie), wenn sie sich als selbstwirksam erleben/ihre eigenen Fähigkeiten anwenden können (Kompetenzerleben) sowie sich sozial unterstützt fühlen (soziale Eingebundenheit). International ist besonders die Autonomieunterstützung in Schule, Unterricht und Ganztagsangeboten gut untersucht. Sie führt aus Sicht der Lernenden zu einer höheren Qualität der pädagogischen Beziehungen und wirkt sich günstig auf Motivation, Wohlbefinden und Schulleistungen aus.

Aber auch die Haltung der Erwachsenen gegenüber den Kindern und Jugendlichen spielt eine große Rolle für Motivation, Lernerfolg und Sozialverhalten der Lernenden. Hatties Synthese von Metaanalysen unterstreicht, dass die Beziehungen zu Lehrpersonen auch für den (messbaren) fachlichen Lernerfolg von großer Bedeutung sind. Empathie, Wertschätzung und positive Zuwendung sind wichtige Bedingungen einer sicheren, förderlichen Lernumgebung, genauso wie Klarheit, Transparenz und konsequentes Handeln. Eine Haltung, die die beschriebenen Merkmale aufweist, kann das Vertrauen der Lernenden in die Lehrpersonen fördern. Um nachhaltiges Lernen zu fördern müssen aber auch die Pädagog:innen in die Lernenden vertrauen bzw. ihnen etwas zutrauen und die Verantwortung für die jeweiligen (fachlichen und überfachlichen) Lernprozesse an die Kinder und Jugendlichen abgeben. Das erfordert und fördert zugleich gegenseitiges Vertrauen in der pädagogischen Beziehung.

Die Haltung gegenüber Schüler:innen zeigt sich aber nicht nur in persönlichen Beziehungen – insgesamt unterscheiden sich Lehrpersonen darin, inwieweit sie davon ausgehen, dass die Lernenden generell wohlwollend, motiviert, engagiert, zuverlässig und lernfähig sind. Dort wo Lehrkollegien in diesem Sinne ein höheres Vertrauen in die Lernenden zeigen, sind Schulleistungen besser und zudem weniger an die soziale Herkunft der Lernenden gekoppelt.

Ganztagsschule bietet besondere Chancen für pädagogische Beziehungen

Strukturell bietet die Ganztagsschule mit ihrem erweiterten Zeitrahmen und vielfältigen Begegnungskontexten besondere Chancen. Empirisch zeigt sich u. a., dass pädagogische Beziehungen in Ganztagsangeboten allgemein positiver wahrgenommen als im Unterricht. Dies kann mit geringerer Formalisierung begründet werden – hier schlägt das Machtungleichgewicht in der pädagogischen Beziehung (u. a. aufgrund der fehlenden Benotung) vermutlich weniger stark zu Buche als im Unterricht. Andererseits können durch Ganztagsangebote Autonomiebedürfnisse besonders angesprochen werden. Partizipative Kompetenzen sind per se ein wichtiges Bildungsziel und daher ist die Partizipation der Schüler:innen als Qualitätsmerkmal der Ganztagsschule in den Qualitätsrahmen einiger Länder aufgeführt. Möglichkeiten der Mitbestimmung und die selbstbestimmte Auswahl von Angeboten sind, wie sich empirisch zeigt, aber auch wichtig für Wohlbefinden, Motivation und soziales Lernen von Kindern und Jugendlichen in Ganztagsangeboten. Dies kann auch im Sinne eines Vertrauensvorschusses durch die Pädagog:innen gedeutet werden und so die Beziehung verbessern. Autonomieerleben entsteht aber auch, wenn die ausgeführten Tätigkeiten als sinnvoll erlebt werden. Die Teilnahme an motivierenden und bedürfnisorientierten Ganztagsangeboten an sich kann daher allgemein zu einem höheren schulischen Wohlbefinden führen, dass sich letztlich auch positiv auf das Unterrichtsverhalten auswirkt.

Zudem ergeben sich in der Ganztagsschule vielfältige Anlässe und Zeiträume zur, für die Beziehung wichtigen, informellen (und thematisch erweiterten) Kommunikation zwischen Kindern/Jugendlichen und Pädagog:innen. Eine eigene Fragebogenstudie mit 560 Grundschullehrkräften in Hessen unterstreicht, dass Begegnungen mit den Kindern in Fach-, Förder- und/oder Freizeitangeboten den Lehrpersonen Ansatzpunkte für die individuelle Förderung im Unterricht geben. Die Befragten gaben mehrheitlich an, dass sie die Kinder in den Angeboten besser kennenlernen, wodurch sie deren Bedürfnisse besser einschätzen und im Kontakt berücksichtigen können. Vermutlich lassen sich durch eine intensive Kooperation zwischen Lehrpersonen und weiterem pädagogischem Personal ähnliche Effekte erzielen.

Eine Investition in pädagogische Beziehungen lohnt sich für beide Seiten

Vertrauensvolle pädagogische Beziehungen, so zeigen internationale Studien, sind für beide Seiten gewinnbringend. Sie hängen mit niedrigerer Belastung der Pädagog:innen sowie mit höherem Engagement, besserem Sozialverhalten und höherer Anerkennung der Autorität der Erwachsenen durch die Kinder und Jugendlichen zusammen und schaffen somit einen lernförderlichen Kontext. Die Aufgabe der Professionellen ist es nun, diese Potenziale zu nutzen. Dies ist nicht unabhängig von strukturellen Voraussetzungen, wie z. B. personellen und räumlichen Ressourcen und natürlich vom Engagement des gesamten Personals. Einige Maßnahmen, wie z. B. die Übertragung von Verantwortung (auch für das eigene Lernen) und das Einräumen echter Partizipationsmöglichkeiten für die Schüler:innen, sind in allen Organisationsformen von Schule umzusetzen. Sie schaffen letztendlich neue Ressourcen und unterstützen ein positives Erleben aller Beteiligten. Gleichzeitig gilt es, an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen anzuknüpfen und ihre Bedürfnisse und Interessen angemessen zu berücksichtigen. So wird nachhaltiges Lernen für eine optimale Vorbereitung auf die Zukunft unterstützt.

Literaturhinweis

Alle hier referierten Forschungsergebnisse und Theorien mit Literaturangaben sowie Hinweise für die praktische Umsetzung finden Sie in unserem gerade erschienen Buch „Pädagogische Beziehungen für nachhaltiges Lernen“.[1]

 


[1] „Fischer, N. & Richey, P. (2021). Pädagogische Beziehungen für nachhaltiges Lernen. Eine Einführung für Studium und Unterrichtspraxis. Stuttgart: Kohlhammer.