Fragt man Kinder und Jugendliche, was sie sich mit Blick auf ihre Bildung wünschen, kommen sie schnell zu dem Punkt, dass sie eine ganz andere Bildung brauchen – nämlich eine fürs Leben! Was das aus ihrer Sicht bedeutet, haben sie u. a. in den beiden Broschüren „Fragt uns und „Fragt uns 2.0 – Corona Edition skizziert. Auf diese beiden Publikationen, die begleitend zur Auswertung der Befragungen Children’s Worlds+ und JuCo (Jugend und Corona) entstanden sind, wird in diesem Beitrag aufgebaut.

Jungen Menschen ist die Bedeutung von Bildung, aber auch die fehlende Chancengerechtigkeit im Bildungssystem sehr bewusst. Sie vertrauen darauf, dass Bildung ihnen Zukunftsperspektiven und Chancen eröffnen kann. Nach Meinung unserer JugendExpert:innenTeams – Gruppen ganz unterschiedlicher junger Menschen zwischen 14 und 23 Jahren, die unser Projekt beraten – ist Bildung daher DAS soziale Schlüsselthema überhaupt. Bildung spielt aber auch im Hier und Heute für sie eine immense Rolle. Denn Schule nimmt sehr viel ihrer Zeit in Anspruch, ist „die alles bestimmende Lebensaufgabe“ von Schüler:innen, so die Jugendlichen. Daher muss gerade Schule sich verändern, damit Bildung fürs Leben gelingen kann.

Im Rahmen der repräsentativen Kinder- und Jugendbefragung Children’s Worlds+ wurden 2018 3.500 acht- bis vierzehnjährige Schüler:innen in ganz Deutschland von Professorin Sabine Andresen und ihrem Team von der Goethe-Universität Frankfurt befragt, wie es ihnen geht, welche Sorgen sie haben und was sie sich wünschen. An den beiden JuCo-Befragungen des Forschungsverbundes der Universitäten Hildesheim und Frankfurt haben im April und November 2020 insgesamt 12.500 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren (Durchschnittsalter 19 Jahre) aus ganz Deutschland teilgenommen und Einblicke in ihr Leben in der Pandemie gegeben. Die Ergebnisse beider Befragungen geben wichtige Hinweise, was sich mit Blick auf Bildung und Schule aus Sicht von jungen Menschen ändern müsste.

„Schule muss ein sicherer Lebensort sein – auch unter Corona-Bedingungen“

Gut lernen und leben kann man nur dort, wo man sich sicher und wohl fühlt. Wo Menschen um einen sind, denen man vertrauen kann und die einem bei Problemen helfen. Und wo man selbst gehört und die eigene Meinung wertgeschätzt und berücksichtigt wird. Fast ein Viertel der in Children’s Worlds+ befragten Schüler:innen gibt aber an, sich in der Schule nicht sicher zu fühlen. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Schultypen: In der Grundschule und auf dem Gymnasium geben 19,1 Prozent bzw. 18,2 Prozent an, dass sie sich (eher) nicht sicher fühlen. Auf der Realschule sind es 26,9 Prozent, der Gesamtschule 32,9 Prozent und der Hauptschule 33,4 Prozent.

Auch Erfahrungen von Ausgrenzung und Gewalt machen zu viele Kinder und Jugendliche im Umgang mit ihren Mitschüler:innen. Bei den weiterführenden Schulformen geben 38,6 Prozent der Befragten in Gesamt- und Sekundarschulen an, dass sie im letzten Monat sowohl psychische als auch physische Gewalt erlebt haben, bei den Hauptschulen sind es 35,8 Prozent, den Realschulen 34,2 Prozent und den Gymnasien 28,6 Prozent.

Diese Ergebnisse weisen auf dringenden Handlungsbedarf in vielen Schulen hin, der von allen Verantwortlichen zur Kenntnis genommen werden sollte. Das soziale Miteinander, eine gute Atmosphäre und auch der Umgang mit Konflikten muss eine viel größere Rolle im Schulalltag spielen. Dafür muss in Schulen Zeit und Raum sein. Lehrer:innen müssen entsprechend ausgebildet werden. Einzelne Projekte zu Mobbing, wenn Konflikte schon eskaliert sind, greifen zu kurz.

Auch in der Corona-Krise haben Schüler:innen vielfach den Eindruck, dass ihre Sicherheit in der Schule nicht immer an erster Stelle steht und sie „noch viel stärker von den Auswirkungen der Entscheidungen der Erwachsenen betroffen“ sind. Denn sie wurden nicht gefragt, wie Schule aus ihrer Sicht sicher gestaltet werden und auch in der Krise funktionieren könnte. Dabei wurde in der Pandemie noch einmal besonders deutlich, dass Schule nicht nur ein Ort ist und sein sollte, an dem Fachwissen vermittelt wird, vielmehr ist es ein Lebensort, an dem junge Menschen mit Gleichaltrigen zusammenkommen und auch wichtige erwachsene Vertrauenspersonen außerhalb der Familie finden.

„Kinder und Jugendliche haben nicht nur Rechte, sie haben auch das Recht, ihre Rechte kennenzulernen.“

Die Schule sollte aus Sicht der Kinder und Jugendlichen der Ort sein, an dem sie ihre Rechte kennenlernen, leben und aktiv erfahren können. Zudem dürfen Rechte und Beteiligung gerade in Krisensituationen wie der Pandemie nicht vorschnell unter den Tisch fallen. Gerade dann ist es wichtig, dass das Recht auf Bildung nicht von der digitalen Ausstattung in der Familie abhängt, Sorgen und Ängste gehört und ernst genommen und Mitgestaltung ermöglicht wird.

Die Ergebnisse aus Children’s Worlds+ zeigen aber, dass zu viele Kinder und Jugendliche ihre Rechte noch nicht einmal kennen. Was man nicht kennt, kann man aber auch nicht nutzen, leben oder einfordern. Bei den Achtjährigen wissen 33,3 Prozent nicht, welche Rechte sie haben. Mit Blick auf die weiterführenden Schulen kreuzen in Hauptschulen 17,4 Prozent der Befragten an, ihre Rechte nicht zu kennen, in Gesamt- und Sekundarschulen 13,9 Prozent, in Realschulen 10 Prozent und in Gymnasien 4,6 Prozent. Zudem sagen über alle Schulformen hinweg rund 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen, dass sie ihre Rechte nicht sicher kennen.

Es stellt sich daher die Frage, welche Handlungsspielräume in Schule geschaffen und krisenfest verankert werden können, damit Kinderrechte gelehrt und gelebt werden können. Wichtig ist es, dass Lehrkräfte die Kinderrechte kennen und vermitteln können – und das schon ab dem Grundschulalter. Kinderrechte müssen deshalb ein zentrales Thema in der Aus- und Weiterbildung von Pädagog:innen sein.

„Mitbestimmung in der Schule, in allen Fragen, die Schüler:innen betreffen“

Das Recht auf Gehör und Beteiligung spielt dabei an einem so wichtigen Lebensort wie Schule und mit Blick auf Bildung fürs Leben eine besondere Rolle. Schüler:innen haben in der Schule aber leider viel zu oft den Eindruck, nur bei „banalen“ Entscheidungen wie der Farbe des Klassenraums oder dem Ziel des Klassenausflugs gefragt zu werden, nicht aber bei weitreichenden Entscheidungen mitbestimmen zu können. 28,2 Prozent der Befragten haben in Children’s Worlds+ dem Item „Ich kann in der Schule mitentscheiden“ gar nicht oder nur ein bisschen zugestimmt. Zudem stufen Jugendliche mit zunehmendem Alter ihre Möglichkeiten der Mitwirkung in der Schule immer geringer ein.

In der Corona-Pandemie ist dieses Gefühl, nicht gefragt und nicht beteiligt zu werden, eher nochmal gewachsen. Das bringt das folgende Zitat auf den Punkt „…die Tagesschau spricht über Schüler, jedoch werden nur die Meinungen von Erwachsenen gezeigt, aber nicht von denjenigen, die es überhaupt betrifft (die Schüler)“.

Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Beteiligung, sie wollen mitgestalten und mitbestimmen. Genau das gehört aus ihrer Sicht zu Bildung fürs Leben dazu – eigene Positionen zu entwickeln und zu vertreten, Kompromisse zu schließen, Begrenzungen zu erkennen und akzeptieren zu müssen und auch Verantwortung zu übernehmen. Sie brauchen dafür Raum und Erwachsene, die sie respektieren und wertschätzen, ihre Meinung ernst nehmen und „mit ihnen“, nicht „für sie“ denken und die bereit sind, Macht abzugeben. Gerade Schule sollte in ihren Augen ein solcher Raum sein, den sie mitgestalten können und in dem Demokratie gelebt und gelernt wird.

Bildung fürs Leben ist voraussetzungsvoll

Bildung, die Kinder und Jugendliche auf das Leben vorbereitet und Chancen eröffnet, ist voraussetzungsvoll: Junge Menschen wünschen sich Schulen, in denen sie ihre Talente und Interessen entdecken können und diese geschätzt und gefördert werden – egal welchen familiären Hintergrund sie haben. Sie brauchen Lehrkräfte, die sie weniger bewerten und unter Druck setzen, sondern vielmehr begleiten, denen sie vertrauen, die sie im Notfall schützen und die an sie glauben. Unterricht sollte einen Bezug zu ihrem Leben haben, sie über ihre Rechte und Ansprüche informieren und nicht die Reproduktion von Faktenwissen in den Vordergrund stellen.

Kinder und Jugendliche haben genaue Vorstellungen, was Bildung fürs Leben ist und in welche Richtung sich Schule entwickeln sollte. Sie sind bereit Verantwortung zu übernehmen, wenn sie den Eindruck haben, dass man sie als Expert:innen ihres Lebens akzeptiert und achtet. Fragen wir sie, denn das ist ihr gutes Recht!