Seit 1919 gilt in Deutschland die allgemeine Schulpflicht. Die Schule hat den Auftrag, Kindern und jungen Menschen das Recht auf Bildung zu gewährleisten, sie hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Potenziale zu fördern und für ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben mit der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu befähigen. Darüber hinaus soll sie Schüler:innen auf eine Berufstätigkeit vorbereiten und im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung erziehen.

Die Corona-Pandemie stellt die Beschulung von Kindern und Jugendlichen vor neue Herausforderungen. Damit rückt auch das Thema Schulabsentismus wieder stärker in den Fokus. Die Neue Westfälische berichtete bspw. in ihrer Samstagsausgabe vom 15.1.2022 über 900 Kinder in NRW, die aufgrund der Testpflicht die Schule nicht mehr besuchten. Das Land NRW lässt das Fehlen als entschuldigt gelten.

Obwohl Schulabsentismus in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat und durch die Pandemie verstärkt wird, finden in Deutschland leider kaum systematische Erhebungen zu unentschuldigten Fehlzeiten statt. Die Erscheinungsformen sind vielfältiger geworden, dennoch reagieren einzelne Schulen häufig weniger gezielt als notwendig. So werden bspw. 54,5 % aller unentschuldigten Abwesenheiten gar nicht erfasst und/ oder verfolgt.[1]

Schulabsentismus beschreibt das aus gesetzlicher Sicht unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht. Der Begriff unterscheidet verschiedene Ursachen, die häufig in Abhängigkeit vom Alter des Kindes auftreten.[2] Wissenschaftlich wird zwischen dem bewussten Fehlen (Schwänzen), Ängsten in der Schule vor Prüfungen oder Mobbing durch Mitschüler:innen oder Lehrkräften sowie Schulphobien, deren Ursache individuell oder familiär begründet sind, unterschieden.[3]

Schulabsentismus aus psychiatrischer Sicht

Eine kinderpsychiatrische Untersuchung zum Schulabsentismus des LVR-Klinikum Essen und der Universität Duisburg-Essen macht deutlich, „dass familiäre Risikofaktoren Schulabsentismus fördern. Dazu gehören ein niedriger sozioökonomischer Status der Eltern, Arbeitslosigkeit, häufige Umzüge, geringe elterliche Kontrolle, soziale Isolation der Familie, stark verwickelte oder emotional distanzierte familiäre Beziehungen und häufige familiäre Konflikte. Weiterhin bestehen bei den Betroffenen oft konflikthafte Beziehungen zu Gleichaltrigen: Während Schulschwänzer häufig Kontakt zu devianten Jugendgruppen haben, fallen Schulverweigerer durch soziale Integrationsprobleme auf. Einige Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass neben Gewalt- und Ausgrenzungserfahrungen auch eine als schlecht empfundene Qualität des Schulklimas zu schulvermeidendem Verhalten beitragen kann. Bei Schulschwänzern überwiegen mit niedrigem sozioökonomischem Status assoziierte Belastungsfaktoren, wohingegen für Schulverweigerer der Anteil psychisch erkrankter Eltern höher ausfällt. Insgesamt scheinen Schulvermeider mehr belastenden Lebensereignissen ausgesetzt zu sein.[4]

Kommunale Anstrengungen, Beispiel Mannheim:

Die Arbeitsgruppe Schulabsentismus in Mannheim umreißt das Phänomen wie folgt: Grundsätzlich kommt Schulabsentismus in allen Schularten, Geschlechtern, sozioökonomischen Schichten und Ethnien vor. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens fünf Prozent aller Schüler zu einem Zeitpunkt fehlen. Dabei ist die Spannbreite in der Dauer der Fehlzeiten groß. Haupt- und Werkrealschulen, Gemeinschaftsschulen und Sonderschulen sind häufiger von Schulabsentismus betroffen als Realschulen oder Gymnasien. Besonders betroffen sind zudem große Schulen mit häufigem Lehrkräfte- und Raumwechsel, in denen das Fernbleiben der Schüler weniger auffällt. Es fehlen verstärkt solche Schüler, die auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen haben. Zudem weisen Jugendliche in strukturell benachteiligten Stadtteilen häufiger eine Schulbiographie mit Absentismus und auch Schulabbruch auf. Jungen fehlen etwas häufiger als Mädchen. Eine Betrachtung des Alters der Schulabsenten zeigt, dass die Fehlquoten ab Klasse 5 steigen und Höchstwerte in Klasse 8 oder 9 erreicht werden. Mit ca. 13 Jahren scheint sich das Verhalten häufig zu verfestigen.[5]

Wie wird auf Schulabsentismus regiert?

Verwaltungsverfahren bei unerlaubtem Fehlen

Wird die Schulpflicht entweder vonseiten der Schüler:in oder der Eltern verletzt, ist entweder mit Erziehungsmitteln oder mit Ordnungsmaßnahmen bzw. mit einem Strafverfahren zu rechnen. Die Auseinandersetzung findet auf unterschiedlichen Ebenen statt: In der Schule, in der Kooperation mit den Eltern, mit der zuständigen Ordnungsbehörde – hier in der Regel mit dem kommunalen Amt für Schulangelegenheiten – und mit der Jugendhilfe. Kann die Schule auf pädagogischem oder ordnungspolitischem Wege dem Schulabsentismus nicht entgegenwirken, besteht die Möglichkeit, sich auf Basis des § 4 Abs. 1 Nr.7 des Kinderschutzgesetzes (KKG) an das Jugendamt zu wenden. Belastende familiäre Faktoren, Teilhabegefährdung und mangelnde Integration ins soziale und gesellschaftliche Leben, die sich im Schulabsentismus ausdrücken, können als Kindeswohlgefährdung eingestuft werden.

Eine neue gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung von Schulabsentismus

Bei der Novellierung des Jugendhilfegesetzes 2021 wurde die Jugendsozialarbeit nach § 13 um den § 13a, Schulsozialarbeit, erweitert. Schulsozialarbeit birgt großes Potenzial, um abseits von bürokratischen Verfahren Kinder, Jugendliche und Eltern schnell zu erreichen und zum Schulbesuch zu motivieren. Auch wenn Schulsozialarbeit mehr als die Arbeit mit schulabstinenten Kindern und Jugendlichen umfasst, wurde hier eine Zuständigkeit festgelegt. Um diesen Ansatz nutzen zu können, stehen jedoch an den einzelnen Schulen häufig zu wenig Fachkräfte zur Verfügung. Das Familiensystem kann hinsichtlich eines regelmäßigen Schulbesuchs über Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII individuell unterstützt werden.

Bildungsrecht für alle Kinder in Deutschland?

Viele Bundesländer[6], aber auch Städte und Kreise haben Verfahren entwickelt, wie dem Schulabsentismus begegnet werden kann. Auch Stiftungen und Förderprogramme[7] nehmen sich des Themas in seiner Heterogenität an. Leider bleibt festzuhalten, dass trotz der grundgesetzlich verankerten Schulpflicht und den zahlreichen Bemühungen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem Elternhaus unterstützt werden, kontinuierlich ihre Bildungsrechte zu verwirklichen.