Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 haben den deutschen Bildungsdiskurs aufgerüttelt: Die von manchen als alarmierend bewerteten Trends zeigten einen teils deutlichen Abfall der durchschnittlichen Kompetenzniveaus in den Bereichen Deutsch und Mathematik gegenüber 2011 und 2016. Völlig zurecht wurden daher Rufe nach einer verstärkten Förderung von Basiskompetenzen in diesen Bereichen lauter. Kaum eine Rolle spielen im aktuellen Diskurs hingegen sogenannte überfachliche Kompetenzen. Neben den im IQB-Bericht im Zentrum stehenden fachlichen Basiskompetenzen werden überfachliche Kompetenzen in der empirischen Bildungsforschung jedoch seit geraumer Zeit als wichtige Voraussetzungen für Bildungserfolg, Berufserfolg und soziale Teilhabe gehandelt. Im internationalen Bildungsdiskurs spielen sie daher eine zunehmend wichtige Rolle. Die OECD hat mit ihrer „Survey on Social and Emotional Skills“ in dieser Hinsicht jüngst wichtige Impulse gesetzt. Auch in Deutschland zeigt sich die steigende Bedeutung überfachlicher Kompetenzen im Bildungsdiskurs. So hob etwa die Kultusministerkonferenz in ihrer Ende 2021 veröffentlichten Ergänzung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt” die Bedeutung von überfachlichen Kompetenzen wie „Kreativität und Innovation“ oder „Kommunikation und Kollaboration“ hervor (vgl. KMK, 2021).  Die Ansicht, dass neben fachlichen Kompetenzen auch überfachliche Kompetenzen relevant und förderungswürdig sind, vertreten offenbar auch Eltern schulpflichtiger Kinder in Deutschland, wie der folgende Beitrag zeigen wird. 

Welche überfachlichen Kompetenzen sind Eltern bei Schüler:innen wichtig? 

Die Perspektive der Eltern blieb im Diskurs um überfachliche Kompetenzen bislang relativ unterbelichtet. Dies ist misslich, schließlich spielen Eltern als Erziehungspersonen eine wichtige Rolle für die Entwicklung der überfachlichen Kompetenzen ihrer Kinder. Zugleich richten Eltern Erwartungen an Schulen und andere pädagogische Einrichtungen, was die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen an ihre Kinder anbelangt. Sie erwarten nicht nur, dass ihre Kinder dort fachliche Kompetenzen erwerben, sondern möchten auch, dass sie auf das Leben insgesamt vorbereitet werden. Deswegen ist es für den Diskurs rund um überfachliche Kompetenzen wichtig, die Perspektive der Eltern einzubeziehen. 

 In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen, die dieser Beitrag beantworten will: Wie wichtig ist Eltern in Deutschland die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen in der Schule überhaupt? Und welche überfachlichen Kompetenzen halten sie für besonders zentral, welche hingegen weniger?  

 Um uns diesen Fragen zu nähern, haben wir Daten von 3.005 Eltern aus einer im Jahr 2021 durchgeführten Online-Befragung in Deutschland, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung stattfand, ausgewertet. Diese Eltern wurden gebeten, für jede von 32 überfachlichen Kompetenzen anzugeben, wie wichtig es ihnen sei, dass ihr Kind diese Kompetenz in der Schule erlernen kann. Die 32 überfachlichen Kompetenzen stammen aus dem Behavioral, Emotional, and Social Skills Inventory (BESSI), dem aktuellsten Rahmenmodell zur Erfassung überfachlicher Kompetenzen (siehe Soto u.a., 2021; deutsche Version: Lechner et al., 2022). BESSI unterscheidet 32 überfachliche Kompetenzen aus fünf breiten Kompetenzbereichen (Engagement, Innovation, Selbstmanagement, Kooperation, emotionale Belastbarkeit) und erlaubt somit eine detaillierte Betrachtung wichtiger sozio-emotionaler und selbstregulatorischer Kompetenzen. Das BESSI-Kompetenzmodell wurde vom Autor bereits in einem früheren Beitrag auf Schule21 näher erläutert. 

 Die befragten Eltern konnten in der Umfrage auf einer sechsstufigen Antwortskala von 1 („extrem unwichtig“) bis 6 („extrem wichtig“) angeben, wie wichtig ihnen die schulische Vermittlung jeder der 32 Kompetenzen sei. Diese Wichtigkeits-Einschätzungen der Eltern zu den 32 überfachlichen Kompetenzen im BESSI-Modell geben somit darüber Aufschluss, welche konkreten Erwartungen Eltern an die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen in der Schule richten. 

 Abbildung 1 zeigt, welche der 32 überfachlichen Kompetenzen die befragten Eltern im Durschnitt besonders wichtig finden. Die Kompetenzen sind nach absteigender Wichtigkeit sortiert. Die Zuordnung der Kompetenzen zu den fünf breiten Kompetenzdomänen des BESSI ist farblich hervorgehoben.  

 

Abbildung 1: Durchschnittliche Wichtigkeits-Einschätzungen der 32 überfachlichen Kompetenzen durch die Eltern.  

Abbildung 1 zeigt auf den ersten Blick, dass die befragten Eltern alle der 32 Fähigkeiten im Schnitt als mindestens „eher wichtig“ erachten. Nur eine einzige Kompetenz – Durchsetzungsfähigkeit – liegt knapp darunter zwischen „eher unwichtig“ und „eher wichtig“. Keine einzige der überfachlichen Kompetenzen ist Eltern jedoch unwichtig. Für eine große Zahl an Kompetenzen geben Eltern sogar an, ihnen sei „sehr wichtig“, dass ihre Kinder diese Kompetenzen in der Schule erlernen könnten.  

 Betrachtet man die Rangreihung der Wichtigkeits-Einschätzungen der Eltern genauer, so stechen vier der Kompetenzen als besonders wichtig heraus: Selbstvertrauen (d.h. Selbstvertrauen haben, die eigenen Stärken kennen), Optimismus (d.h. optimistisch bleiben und nicht den Mut verlieren, selbst wenn etwas nicht so gut läuft), Zuverlässigkeit (d.h. sich an Vereinbarungen halten, Zusagen und Verpflichtungen einhalten) und Integrität (d.h. Verantwortung für Fehler übernehmen, ehrlich zu Anderen sein). Viele weitere Fähigkeiten aus den Kompetenzbereichen „Selbstmanagement“ und „Emotionale Belastbarkeit“ liegen nur knapp dahinter. Weniger wichtig sind den Eltern Durchsetzungsvermögen, Führungskompetenz und Zielstrebigkeit sowie auch Impulskontrolle. Möglicherweise sind dies Kompetenzen, die sie von ihren Kindern (womöglich alters- bzw. entwicklungsbedingt) noch nicht erwarten. Auch künstlerische Fähigkeiten sind Eltern weniger wichtig.  

Fazit: Überfachliche Kompetenzen stehen bei Eltern hoch im Kurs 

Überfachliche Kompetenzen stehen bei den befragten Eltern offenbar hoch im Kurs. Sie halten die schulische Vermittlung der meisten überfachlichen Kompetenzen in BESSI für wichtig bis sehr wichtig. Die Eltern richten also an Schulen nicht nur die Erwartung, dass ihre Kinder dort fachliche Kompetenzen erwerben. Vielmehr messen sie auch überfachlichen Kompetenzen insbesondere aus den Bereichen Selbstmanagement und Emotionale Belastbarkeit sowie der Vermittlung dieser Kompetenzen in Schule eine hohe Bedeutung bei.  

 Wie sich Schüler:innen in Deutschland auf denselben 32 überfachlichen Kompetenzbereichen selbst aufgestellt sehen und inwieweit dies mit den elterlichen Erwartungen an die schulische Vermittlung dieser Kompetenzen im Einklang steht, erfahren Sie bald in einem nächsten Blogbeitrag. 

 


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