Künstliche Intelligenz (KI) ist gekommen, um zu bleiben. Sie optimiert nicht nur Industrieprozesse, sondern auch die Internetsuche, das Online-Shopping oder die Navigation im Auto – das ist inzwischen weitgehend bekannt. Doch wissen nur wenige, dass die Automatisierung auch innerhalb öffentlicher Institutionen eine wachsende Rolle spielt: von der Gesichtserkennung bei Polizeieinsätzen über Asyl-­Entschei­dun­gen bis hin zur Prüfung von So­zial­hilfe­ansprü­chen. Algorithmen haben heute erheblichen Einfluss auf die Lebenschancen von Menschen.

Das Thema ist daher hochpolitisch. Die Europäische Kommission arbeitet an einer KI-Regulierung, sie will technologische Innovation und Vertrauenswürdigkeit in Einklang bringen. Die politische Diskussion darf sich aber nicht nur auf die Technologie fokussieren, sie muss den jeweiligen Anwendungskontext in den Blick nehmen, in dem sich deren Wirkkraft entfaltet: Eine KI zur Bilderkennung kann genauso dafür genutzt werden, Brustkrebs zu erkennen, wie Ziele einer Kampfdrohne zu bestimmen. Im Mittelpunkt sollte daher die Frage stehen, wie digitale Technologien Menschen dabei unterstützen können, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Ja, wir müssen verhindern, dass KI sozialen Schaden anrichtet. Wir müssen aber auch alles dafür tun, ihr Potenzial für das Gemeinwohl auszuschöpfen.

Dafür braucht es mehr als Regulierung, es braucht ein Umdenken. Technologische Innovation darf kein Selbstzweck sein, es kommt auf ihre konkrete Umsetzung an! Statt immer schneller Neues zu erfinden, gilt es vor allem, kluge Ideen tatsächlich wirksam werden zu lassen.

Ein Beispiel: Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat eine Soft­ware zur Kitaplatz-Vergabe entwickelt, die bereits in ersten Gemeinden eingesetzt wird. Ein einfacher Matching-Algorithmus gleicht die Wünsche von Eltern und Kitas ab, um freie Plätze schneller und gerechter zu verteilen.

Dabei wird deutlich: Die zentrale Frage, nach welchen Kriterien die Kitaplätze vergeben werden, muss von den Betroffenen ausdiskutiert werden. Nur sie kennen die Bedingungen vor Ort und wissen, welche Entscheidungen angemessen sind. Das unterscheidet sich in Berlin-Neukölln und München-Schwabing erheblich, und genau an dieser individuellen Gewichtung zeigt sich, ob der Algorithmeneinsatz zum Erfolg führt oder zum Ärgernis wird. Dabei spielen Transparenz und Beteiligung oft eine wichtigere Rolle als die Technologie selbst. Letztere ist notwendig für die innovative Lösung. Entscheidend für echten sozialen Nutzen und breite Akzeptanz ist aber erst ihre passgenaue Umsetzung.

Aus der automatisierten Vergabe der Kitaplätze lässt sich für andere Fälle lernen, bei denen Algorithmen menschliche Schicksale beeinflussen: Das Gelingen hängt davon ab, ob Betroffenen ein konkreter Nutzen entsteht. Dafür braucht es mehr gezielte öffentliche Förderung, die vielfältige Innovationen für das Gemeinwohl ermöglicht, wo der Markt sie nicht hergibt.

Es braucht einen intensiven Diskurs über konkrete Anwendungen, die nicht nur auf das technisch Mögliche, sondern vor allem auch auf das gesellschaftlich Sinnvolle abzielen. Und es braucht die Kompetenz, zu erkennen, was Algorithmen leisten können und was nicht.

Knappe Ressourcen wie Kitaplätze effizienter und fairer zu verteilen gehört sicher dazu. Doch wo ein echter Mangel im System herrscht, ist auch die beste Soft­ware machtlos – mehr Personal und mehr Geld kann eine KI nicht herbeizaubern. So bleibt es unsere menschliche Verantwortung, der Komplexität sozialer Herausforderungen gerecht zu werden.


Dieser Text von Julia Gundlach und Ralph Müller-Eiselt ist ursprünglich als Gastbeitrag in der ZEIT am 04.02.2021 erschienen.