In Brandenburg wurde noch am längsten unterrichtet, seit knapp eineinhalb Wochen sind jedoch alle Schulen bundesweit geschlossen. Irgendwie muss es jedoch weitergehen. Millionen Familien und tausende Schulen sehen sich großen Herausforderungen ausgesetzt. Lösungen für Betreuung, Fortsetzung des Unterrichts sowie Abschlussprüfungen müssen schnell gefunden werden.

Umso stärker tritt nun jedoch ans Tageslicht, was von vielen Seiten bereits jahrelang moniert wird: Deutschland hinkt in Sachen digitaler Bildung hinterher. Die digitale Bildungslandschaft in der Bundesrepublik gleicht einem Flickenteppich. Viele Schulen haben nach wie vor kein WLAN, ganz zu schweigen von mobilen Endgeräten für die Schüler:innen. Es fehlen gemeinsame Cloud-Lösungen für Schulen und eine Vielzahl an Lehrkräften bedarf Unterstützung bei der Aufbereitung digitaler Lernarrangements. Zwar wurde im Frühjahr 2019 der Digitalpakt verabschiedet und den Schulen somit in der Theorie finanzielle Mittel in Höhe von 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, davon wurden bisher allerdings lediglich 40 Millionen Euro abgerufen.

„Wir arbeiten gerade an einem Konzept, wie wir eben auch digital dann die Schülerinnen und Schüler erreichen können. Dabei gehe es beispielsweise um eine Plattform oder ein Netzwerk, das den Schulen und Schülern zur Verfügung gestellt werden könne“, sagte NRW Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) in der letzten Woche angesichts der seit Montag geschlossenen Schulen. Das Zitat zeigt: Digitales Lernen wurde bisher nur als Nischen- und jetzt als Notlösung begriffen.

Dies kann, wird und muss sich nun ändern. Wenn man der jetzigen Krise also etwas Positives abgewinnen will, dann, dass sie unseren Schulen und Lehrkräften eine steile Lernkurve in Sachen digitaler Bildung ermöglicht.

Der unverhoffte Digitalisierungs-Turbo

Als erstes waren vor allem China und Südkorea von der Corona-Krise betroffen. Im asiatischen Raum spielen digitale Lernangebote in der Schule bereits seit Längerem eine tragende Rolle. Die Auswirkungen der Krise haben jedoch auch dortige Unternehmen vor Herausforderungen gestellt. Genshuixue ist ein chinesisches Start-up und bietet über seine digitale Plattform Kurse für alle Fächer und Klassenstufen an. Ende 2019 waren 2,7 Millionen Schülerinnen und Schüler auf der Plattform eingeschrieben. Alleine im Februar dieses Jahres gab es 15 Millionen Neuanmeldungen. Ähnliche Wachstumsexplosionen zeigen nun amerikanische Start-ups. ZOOM, eine Plattform für Videokonferenzen, stellt Schulen ihre Technologie derzeit frei zur Verfügung. Während man im Jahr 2019 insgesamt 1,99 Millionen User verzeichnete, kamen in den Monaten Januar und Februar mit 2,22 Millionen mehr als doppelt so viele neu hinzu. Auch große Player am Markt wie Google, Microsoft und Adobe bieten ihre Bildungsangebote derzeit gratis oder stark vergünstigt an. Khan Academy, eine ohnehin kostenlose Plattform für Lernvideos, hat nun zusätzlich frei verfügbare Tages- und Wochenpläne für Schüler:innen aller Altersstufen sowie Anleitungen und Hilfestellungen für Lehrkräfte und Eltern im Angebot.

Doch auch die deutschen Bildungs-Start-ups ziehen in schnellem Tempo nach. Viele Plattformen wie Sofatutor, Simpleclub, Scoyo, Bettermarks oder auch Learnattack sind derzeit kostenfrei verfügbar. Im Falle von Sofatutor orientieren sich alle Lernvideos, interaktiven Übungen und Arbeitsblätter auf der Plattform an den aktuellen Rahmenlehrplänen der Bundesländer. Schüler:innen können sich den Unterrichtsstoff – unter Anleitung der Lehrkräfte bzw. mithilfe von Aufgabenstellungen, die per Mail oder im Lernmanagement-System bereitgestellt werden – von zu Hause aus erarbeiten und Inhalte selbstständig wiederholen. Abgedeckt werden so fast alle Altersstufen und Fächer. Bei Fragen zum Schulstoff helfen Lehrkräfte im Chat weiter. „Corona wirkt im sonst gemächlichen Bildungsbereich gerade als Digitalisierungs-Turbo“, sagt Stephan Bayer, der Gründer von Sofatutor. Mehrmals musste das Start-up in den letzten Tagen aufgrund der Vielzahl an Neuanmeldungen bereits seine Server-Kapazitäten erhöhen.

Die Basis des digitalen Schul- und Unterrichtsmanagement bilden, neben eigenen Schulclouds mancher Schulen, meist zentrale Lernplattformen. Diese unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland und werden von der öffentlichen Hand für die Schulen zur Verfügung gestellt. Bayern und Berlin setzen hier zum Beispiel auf eigene Entwicklungen. Bereits 2014 wurde in Bayern das Online-Angebot Mebis eingeführt. Das Berliner Pendant ist der Lernraum Berlin. Vor der Krise waren dort lediglich 7.500 von 33.000 Lehrkräften angemeldet und im Durchschnitt wurden 50.000 Zugriffe pro Tag verzeichnet. Am Sonntag vor den Schulschließungen sprang diese Zahl schließlich auf eine Million Zugriffe. Zahlreiche andere Bundesländer setzen auf Moodle-Lösungen, Bremen und Schleswig-Holstein auf den kommerziellen Anbieter itslearning.

Struktur und Kommunikation sind wichtiger denn je

Lerninhalten über digitale Lernplattformen und Apps bereitzustellen, ist jedoch nur ein Aspekt von erfolgreichem Lernen in Zeiten geschlossener Schulen. Dies bedeutet nämlich keinesfalls, dass die Kinder von 8 bis 16 Uhr vor den Bildschirmen sitzen und Aufgaben erledigen sollen. Drill mit hunderten von Arbeitsblättern ist pädagogisch definitiv ungeeignet. Um die Schüler:innen zu motivieren, bietet sich projekt-, produkt- und problemorientiertes sowie forschend-entdeckendes Lernen an. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, selbstbestimmt eigene Themen und mögliche Lernformate (z.B. die Produktion eines Podcasts) auszuwählen. Das Arbeiten an Tablets und Laptops kann zudem auf Dauer ermüdend sein. Noch mehr als in der Schule gilt es deshalb, sich immer wieder Pausen zu gönnen, und besonders jüngere Kinder sollten auch praktisch tätig sein, z.B. im Fach Kunst mit Material, das sie im Haushalt finden. Außerdem müssen nicht ausschließlich digitale Medien genutzt werden — für intensives Lesen eignen sich weiterhin Schulbücher und gedruckte Lektüren. Ein gemeinsamer morgendlicher Check-in mit der zuständigen Lehrkraft und ein digitaler Unterrichtsabschluss in der Gruppe über eine Videoanwendung (ZOOM, FaceTime, Teams, etc.) können sehr hilfreich sein. Denn nach wie vor benötigen die Kinder detaillierte Arbeitsaufträge und einen strukturierten Tagesablauf. So lassen sich sowohl aktuelle Anliegen der Kinder als auch die Aufgaben und Fortschritt des jeweiligen Tages besprechen.

Zwischen Check-in und Check-out können die Schüler:innen  Arbeitsaufträge eigenständig oder in Gruppen erledigen und an ihren Projekten arbeiten. Auch hier ist immer wieder Anleitung und Strukturierung durch die Lehrkraft gefragt. Über Chat- und Video-Tools besteht die Möglichkeit, konkrete Hilfestellungen und auch Feedback zu geben. Schließlich sollte den Kindern die Chance geboten werden, ihre Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. Was im Klassenzimmer selbstverständlich ist, ist im digitalen Raum noch viel wichtiger. Auch bei der Leistungsüberprüfung muss umgedacht werden: Die Schüler:innen benötigen regelmäßiges Feedback der Lehrkräfte für ihre Projekte. Dies kann beispielsweise mithilfe eines ePortfolios, welches Arbeitsprozesse und -ergebnisse dokumentiert, umgesetzt werden.

Natürlich kann nicht erwartet werden, dass Eltern zu Hause die gleichen Lernstrukturen wie die Schule bieten. Nicht zuletzt deshalb ist neben einer intensiven Kommunikation mit den Kindern auch der regelmäßige Austausch mit den Eltern unerlässlich. Und auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften sowie der Schulleitung sollte in Zeiten von Homeschooling nicht vergessen werden. Festgelegte wöchentliche Zeitfenster können helfen, dies zu verankern.

Die Krise als Chance

Die aktuelle Corona-Krise wir uns wohl noch einige Wochen oder gar Monate begleiten. Derzeit ist noch nicht absehbar, ob und wann in diesem Schuljahr der Unterricht wieder regulär in den Schulen angeboten wird. Die Geschwindigkeit der Umstellung von offline zu online hat die ganze Bildungslandschaft überrascht und vor große Herausforderungen gestellt. So dramatisch die Lage derzeit ist, kann man allerdings auch dieser Krise etwas Positives abgewinnen. Sie wird Schule nachhaltig verändern. Der Mittelabruf aus dem Digitalpakt könnte sich nun deutlich beschleunigen. Private Anbieter von Apps und Plattformen sowie staatliche Lösungen bekommen plötzlich große Aufmerksamkeit und können ihre jeweiligen Potenziale für zeitgemäße Bildung beweisen. Und das Wichtigste: Schulen und Lehrkräfte setzen sich tagtäglich mit digitaler Bildung auseinander und lernen in rasantem Tempo dazu. Dies sorgt nun endlich für Fortschritte sowohl im Bereich der digitalen Infrastruktur als auch in der Pädagogik. Besser spät als nie.

Die erste Zeit muss nun genützt werden, entsprechende Ablaufstrukturen zu schaffen, Lehrkräften die aktive Nutzung geeigneter Plattformen zu ermöglichen und die wichtigsten Lerninhalte digital bereitzustellen. Ziel sollte es sein, zumindest wesentliche Teile des Unterrichts trotz “Social Distancing“ möglichst ansprechend für alle Kinder fortzuführen. Dazu müssen auch und gerade diejenigen mitbedacht werden, die keine optimale Unterstützung in ihrem Umfeld vorfinden oder zu Hause nur schlechten Zugang zu Internet und digitalen Endgeräten haben. Die Schere zwischen sozioökonomisch benachteiligten Kindern und ihren Klassenkamerad:innen darf in den kommenden Wochen und Monaten nicht noch weiter aufgehen. Hierfür fehlt es derzeit noch an konkreten Lösungen, um eine steile Lernkurve für alle zu ermöglichen.


Nützliche Links

  •  Zwei sehr gute Übersichten zu digitalen Angeboten:

https://www.linkedin.com/pulse/homeschooling-zeiten-von-corona-verena-pausder/?trackingId=F4uWkPx5hFd7nh8weJsdxQ%3D%3D

https://www.lernentrotzcorona.ch/Lernentrotzcorona

  • Tägliche Updates zu Schule und Corona:

https://deutsches-schulportal.de/