Der zweite „Corona-Schulgipfel“ zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Kultusminister:innen der Länder am 21. September erbrachte im Ergebnis zunächst wenig Überraschungen. Festzuhalten bleibt: Ja, der digitale Fokus liegt in Deutschland nach wie vor auf der technischen Infrastruktur. Ja, Digitalisierung wird oft immer noch als „Extraaufgabe“ begriffen und ja, wir sind weit von einer Kultur der Digitalität in der Schule entfernt. Doch bemerkenswert ist der letzte der sieben im Rahmen des Gipfeltreffens definierten Handlungsstränge, denn hier ist explizit die Rede von der Entwicklung intelligenter tutorieller Systeme.

In einem unserer letzten Blogbeiträge haben wir einen „Blick über den Tellerrand“ geworfen und unter anderem eine Plattform aus den USA vorgestellt, die ein auf KI basierendes Tutoring-System für den Schulunterricht entwickelt hat. Diese Software passt ihre Fragen adaptiv an den jeweiligen Lern- und Wissenstand eines Kindes an und gibt automatisierte Rückmeldungen. Ist das die Zukunft des Lernens?

Es ist unbestritten, dass die passende digitale Infrastruktur sowie einheitliche Richtlinien in Bezug auf IT-Support und Datenschutz notwendig sind. Wollen wir jedoch das wahre Potenzial des Digitalen für den Unterricht nutzen und nicht einer Pseudo-Digitalisierung verfallen, müssen wir über eine pädagogische statt über eine technische Revolution sprechen.

Zumindest die technische Revolution ist seit Beginn der Corona-Krise allgegenwärtig zu spüren. Mittel für den Digitalpakt wurden nochmals erhöht, die Nachfrage nach digitalen Lernangeboten und vor allem -plattformen ist rasant gestiegen. Seit Ende der Sommerferien sind die Schulen nun bestrebt, möglichst einen „Normalbetrieb“ zu gewährleisten, und es stellt sich die Frage: Was bleibt? Sowohl technisch als auch pädagogisch. Sind tutorielle Systeme wie von der Politik geplant eine realistische Option noch weit entfernte Zukunftsmusik?

Darüber haben wir mit Anika Buche, Lehrerin am Albert-Schweizer-Gymnasium in Hürth und Gründerin der Bildungsinitiative Edu-sense, gesprochen. Mit ihrer digitalen Pilotklasse 7c ist sie eine der Vorreiterinnen bei der Digitalisierung des Schulunterrichts in Deutschland und hat bereits deutlich vor der Corona-Krise digitale Erfahrungen gesammelt. Kein Wunder, dass sie gleich zu Beginn unseres Gesprächs darauf verweist, dass die Digitalisierung des Unterrichts nicht mit Homeschooling gleichgesetzt werden dürfe.

„Die Digitalisierung von Schulen und die Nutzung digitaler Lernangebote ist extrem wichtig, damit jede:r Schüler:in individuell bestmöglich gefördert werden kann, und die Krise hat eindeutig geholfen, die Verbreitung und generelle Akzeptanz digitaler Lernplattformen zu fördern. Der soziale Kontakt und die zwischenmenschlichen Beziehungen mit den Schüler:innen dürfen jedoch nicht unter der fortschreitenden Digitalisierung leiden, wie dies vielerorts während der Corona-Krise durch Schulschließungen passiert ist.“

Mit ihrer 7. Klasse testet Anika Buche im Fach Mathematik verschiedene Angebote und lässt die Schüler:innen selbst ausprobieren, mit welcher Software sie am besten lernen können. Hierzu zählen etablierte Angebote wie ANTON oder bettermarks, aber auch neuere Lösungen wie die interaktive Plattform ViTeach.

„Den Schüler:innen gefällt, dass sie aus verschiedenen Angeboten auswählen und mit ihrer eigenen Lerngeschwindigkeit durch die Inhalte gehen können, um nicht von Besseren abgehängt zu werden. Die Lehrer:innen können in den gemeinsamen Lernumgebung anhand von Auswertungen schnell erkennen, ob jede:r die Inhalte verstanden hat. Ohne digitale Hilfsmittel wäre dies möglicherweise erst einige Wochen später bei der Korrektur der Klassenarbeiten sichtbar. Ich kann meine Kolleg:innen nur dazu ermutigen, digitale Lernangebote in den regulären Unterricht zu integrieren. Die Schüler:innen mögen die Interaktivität und die Abwechslung, und durch die verschiedenen Darstellungsarten bekommen sie einen viel breiteren Zugang zu den jeweiligen Inhalten.“

Besonders angetan hat es Anika Buche dabei derzeit das Angebot von ViTeach, einem jungen EdTech-Start-up, welches während der Corona-Krise gegründet wurde. Die Software kann jedem Kind beliebig viele modell-generierte Aufgaben verschiedenster Schwierigkeitsgrade zur Verfügung zu stellen und diese auf den aktuellen Lern- und Wissenstand der Kinder anpassen.

Natürlich betont auch Anika Buche in unserem Gespräch, dass nicht alle Schulen die gleichen Voraussetzungen mitbrächten und der Zugang zu stabilem WLAN und digitalen Endgeräten unerlässlich sei. Diese Grundvoraussetzungen müssten aus den Mitteln des Digitalpakts nun schnell geschaffen werden, damit die Lehrkräfte sich auf ihren Unterricht und die bestmögliche Förderung jedes einzelnen Kindes konzentrieren und digitale Hilfsmittel dabei zuverlässig nutzen könnten.

Das Gespräch hat gezeigt: Die Corona-Krise kann für die Digitalisierung von Schule und damit pädagogische Herausforderungen wie individuelle Förderung eine unverhoffte Chance sein. Motivierte Lehrkräfte gibt es genug und auch hierzulande etablieren sich immer mehr digitale Lernanwendungen. Nun liegt es an Politik und Verwaltung, endlich die schulische Infrastruktur in Deutschland ins 21. Jahrhundert zu befördern und somit den nötigen pädagogischen Freiraum für innovativen und passgenauen Unterricht zu schaffen.