Der erste Corona-Fall in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 nachgewiesen. Weniger als zwei Monate später hat das Saarland am 16. März als erstes Bundesland alle Schulen und KiTas geschlossen. Schnell zogen alle anderen Bundesländer nach und der Begriff ,,Homeschooling‘‘ erreichte eine zuvor ungeahnte Popularität. Kinder, Eltern, Lehrkräfte und Schulen fanden sich mit einer völlig unerwarteten Herausforderung konfrontiert. Die aktuelle Zwischenbilanz ist zwiespältig: Einerseits wurde in den vergangenen Monaten vielfach das Engagement von Lehrkräften positiv hervorgehoben, andererseits kamen erneut die eklatanten Missstände im Bereich der Digitalisierung der Bildung zum Vorschein. In der Krise liegt zweifellos die große Chance, das deutsche Bildungssystem endlich ins digitale Zeitalter zu befördern; sowohl hinsichtlich der Ausstattung mit digitalen Endgeräten als auch in Bezug auf pädagogisch-didaktische Konzepte.

Zu regem Austausch kam es von Beginn an im Twitterlehrerzimmer und bundesweite Aufmerksamkeit erreichte schließlich der rasch ins Leben gerufene #WirVsVirus-Hackathon. Erst kürzlich versammelte der #WirFürSchule-Hackathon über 6000 Beteiligte aus der Bildungslandschaft, um an (digitalen) Lösungen für die Schule von morgen zu arbeiten. Wenn wir also auch noch zum Schulstart im Herbst mit einer Mischung aus Präsenz- und Distanzunterricht konfrontiert sind, sollte es nicht an Ideen und Initiativen mangeln.

Es würde sich allerdings lohnen, den Austausch hierzulande noch um einen Aspekt zu ergänzen: den Blick über den Tellerrand. Laut aktuellen UNESCO-Zahlen haben 144 Länder weltweit ihre Schulen zumindest zeitweise geschlossen – nicht wenige davon sind in puncto Digitalisierung deutlich erfahrener als Deutschland.

Eben jenen Blick über den Tellerrand wollten wir, Jörg Dräger und ich, noch Ende März wagen. Eine Reise in die USA sollte Aufschluss über die neuesten Entwicklungen im Bereich der digitalen Bildung dort liefern. Der Hinflug war für den 22. März geplant; doch das Coronavirus und der am 12. März erlassene Einreisestopp der USA machten uns einen Strich durch die Rechnung.

Nichtsdestotrotz möchte ich hier zwei Bildungs-Start-ups und eine Schule mit spannenden Lösungen für digital unterstützten Unterricht genauer vorstellen. Der inhaltliche Fokus liegt dabei vor allem auf Kommunikation und Feedback. Erste Umfragen haben gezeigt, dass speziell diese Bereiche in Zeiten von Corona besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

Eine künstliche Intelligenz als Tutor für den Unterricht

Cognii ist ein 2013 gegründetes Start-up aus San Francisco und bietet auf künstlicher Intelligenz basierende digitale Lösungen für Schulen und Universitäten. Grundsätzlich werden alle Fächer von der dritten Klasse bis zum Schulabschluss abgedeckt. Die Basis bildet eine Lernplattform, welche Lehrkräfte nutzen können, um Kurse für alle Schüler:innen eigenständig anzulegen. Die erstellten Kurse werden schließlich mit der von Cognii entwickelten künstlichen Intelligenz kombiniert: Während die Schüler:innen ihre digitalen Unterrichtseinheiten über die Lernplattform absolvieren, können sie Fragen stellen und Gelerntes im Rahmen von Quizzes festigen. Sowohl auf Fragen als auch auf Quizantworten bekommen sie in Echtzeit eine entsprechende Antwort bzw. Rückmeldung. Dies funktioniert auch bei offenen Fragen, verlangt also keine klassischen Multiple-Choice-Tests. Cognii legt besonderen Wert darauf, komplexe Fragen und Antworten zu ermöglichen, damit auch in der Interaktion mit der künstlichen Intelligenz Fähigkeiten wie kritisches Denken und Kreativität gefördert werden können. Basierend auf den Fragen und Antworten der Schüler:innen wird der Kurs entsprechend individuell angepasst und die Lehrkräfte bekommen laufend Informationen zu den Lernständen der gesamten Klasse sowie der einzelnen Schüler:innen. Cognii bietet also gerade im Distanzunterricht ausgezeichnete Möglichkeiten, um den Schüler:innen wertvolles und individuelles Feedback zu geben und als Lehrkraft einen Überblick über die Lernstände zu haben. Leider ist die Software bisher nur auf Englisch verfügbar.

Schul- und Unterrichtsentwicklung mit gezielten Umfragen

Panorama Education ist ein Unternehmen aus Boston und wurde 2012 gegründet. Sein Fokus liegt auf der Erstellung und Analyse von Umfragen für Schulpersonal, Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung. Ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt wird dabei vor allem auf Wohlbefinden und sozio-emotionales Lernen gelegt. Während der coronabedingten Schulschließungen in den USA hat so zum Beispiel das New York City Department of Education in einer engen Kooperation mit Panorama Education mehrfach die Sicht von Kindern und Eltern auf Distanzlernen erhoben. Kurze Umfragen können direkt über die von Panorama Education zur Verfügung gestellte Plattform für jede Schule individuell erstellt und an relevante Zielgruppen gespielt werden. Das ermöglicht unkompliziertes Feedback aller Beteiligten sowie rasche Interventionen der Schulen und Lehrkräfte.

Eine High School setzt seit Jahren auf das Flipped Classroom Modell

Die Clintondale High School nördlich von Detroit, Michigan, setzte bereits vor der Corona-Krise auf ein striktes Blended-Learning-Modell, also eine Mischung aus Präsenz- und Distanzlernen. In der Clintondale High School sind persönliche Treffen zwischen Lehrkräften und Schülern ausschließlich für Übung, Diskussion, individuelle Betreuung und Unterstützung bei Projekten vorgesehen. Der klassische Unterricht, also die Vermittlung von neuem Schulstoff, findet online statt. Dieses Modell verfolgt die Schule bereits seit 2010. Natürlich mussten in der aktuellen Situation auch die eigentlich vor Ort vorgesehenen Teile des Schulalltags in den virtuellen Raum verlegt werden – im Vergleich zu vielen anderen Schulen gestaltete sich die Umstellung jedoch entsprechend einfacher. Besonders interessant daran: In bundesweiten Vergleichstest schneidet die Schule seit Jahren überdurchschnittlich gut ab. Auch hierzulande kam bereits die Idee auf, für manche Schulformen und Klassenstufen unabhängig von der Infektionslage durch das Coronavirus einen Homeschooling-Tag beizubehalten. Wer eine solche Umstellung tatsächlich verfolgen will, sollte sich die Erfahrungen der Clintondale High School genauer anschauen.

Konsequente Weiterentwicklung von Schule statt Stückwerk

Auch wenn Krisensituation dazu verleiten, sich auf sich selbst zu konzentrieren, kann gerade dann ein Blick über den Tellerrand hinaus nicht schaden. Die zuvor skizzierten Beispiele verdeutlichen, welche Entwicklungsmöglichkeiten beim digitalen Lernen existieren, wenn wir Corona auch als Chance begreifen. Welches Schulszenario wir im Herbst 2020 tatsächlich vorfinden werden, ist heute noch unklar – wir müssen jedoch für Präsenz- sowie Distanzunterricht und eine etwaige Mischform gewappnet sein. Die derzeite Aufbruchsstimmung und die Vielzahl an entstehenden Initiativen und Ideen sind dafür ungemein interessant zu beobachten. Sie können als Anstoß für eine notwendige Weiterentwicklung von Schule dienen – endlich auch in der Breite. Entscheidend für ihren Erfolg ist aber wie allen Reformprozessen in der Schule: Wir dürfen keinesfalls die individuellen Bedürfnisse von Lehrkräften, Eltern und Schüler:innen vergessen!