Wie sich die Lehrkräftebildung ändern muss, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken 

Zu viele Lehramtsstudierende kommen nicht im Lehrberuf an, sondern orientieren sich schon während des Studiums um. Neben einer professionellen Beratung und stärkerem Professions- und Praxisbezug im Lehramtsstudium braucht es auch flexiblere Zugangswege und bessere Qualifizierungsmaßnahmen für Quer- und Seiteneinsteigende. 

Der Lehrkräftemangel ist eine gewaltige Herausforderung für das deutsche Bildungssystem und dürfte die Bildungspolitik laut Prognosen zumindest in den weiterführenden Schulen noch zwanzig Jahre beschäftigen. Er bedroht die Bildungschancen ganzer Schülergenerationen, denn schon jetzt kann durch den Mangel an Lehrpersonal die Stundentafel an vielen Schulen nicht mehr oder nur unzureichend abgedeckt werden. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) geht inzwischen davon aus, dass bis zum Jahr 2035 saldiert über alle Lehrämter ca. 68.000 Lehrkräfte im System fehlen werden. 

Um die gravierenden Folgen dieser Situation abzufedern, braucht es ein ganzes Bündel an Aktivitäten. Neben kurzfristig wirksamen Maßnahmen werden auch solche benötigt, die bereits in der Lehrkräfteausbildung bzw. im grundständigen Lehramtsstudium ansetzen. Ohne Mut zu größeren Reformen wird es nicht gelingen, genügend Lehrkräfte ins System zu holen und dort zu halten, um gute Bildung für alle Schüler:innen sicherstellen zu können. 

Mehr Lehramtsstudierende zum Abschluss führen 

Um langfristig mehr Lehrkräftenachwuchs für die Schulen zu gewinnen, müssen mehr Lehramtsstudierende ihr Studium auch abschließen. Dies erreicht laut einer Analyse des Stifterverbandes jedoch nur knapp jede:r Zweite. Solche geringen Einmündungsquoten in den Schuldienst können wir uns angesichts der dramatischen Personalengpässe an den Schulen nicht leisten. Das grundständige Lehramtsstudium muss zum einen qualitativ aufgewertet und zum anderen auch in der Studienorganisation attraktiver werden. Rein rechnerisch ließe sich, ein entsprechender Erfolg solcher Maßnahmen vorausgesetzt, die von Klaus Klemm ermittelte durchschnittliche jährliche Lücke zwischen Einstellungsbedarf und -angebot von ca. 7.000 Absolvent:innen vollständig schließen.  

Für eine höhere Studienerfolgsquote braucht es zum einen eine professionelle und lehramtsspezifische Beratung der Studierenden. Daten des Monitor Lehrerbildung zeigen allerdings, dass solche Beratungsangebote an den Hochschulen bislang weit überwiegend freiwillig sind. In der Studieneingangsphase bieten 66 Prozent der befragten lehrerbildenden Hochschulen freiwillige Beratungsangebote an. Nur an 9 Prozent der Hochschulen sind diese Beratungsgespräche verpflichtend.  

Auch ein zu geringer Professionsbezug gehört häufig zu den Gründen für einen Studienabbruch bzw. Studiengangwechsel. Das Lehramtsstudium muss deshalb deutlich professionsorientierter gestaltet werden als es derzeit oft der Fall ist. Das heißt, lehramts- und schulbezogene Studieninhalte, wie zum Beispiel der Umgang mit Vielfalt im Klassenzimmer, der Einsatz digitaler Medien und künstlicher Intelligenz, das Lernen in der Ganztagsschule oder die Förderung sogenannter Zukunftskompetenzen, müssen neben den reinen Fachinhalten eine größere Rolle spielen. Laut dem Monitor Lehrerbildung sind diese Querschnittsthemen häufig jedoch nur punktuell im Studium verortet und größtenteils Bestandteil der Bildungswissenschaften. Mit Blick auf die spätere Berufsrealität sollten die genannten Querschnittsthemen jedoch den roten Faden des gesamten Lehramtsstudiums bilden, also unbedingt auch in der Fachdidaktik – der Schlüsseldisziplin des Lehramtsstudiums – ihren festen Platz haben. Daneben ist es insbesondere in den MINT-Fächern wichtig, die fachlichen Studieninhalte stärker am Lehramt zu orientieren. Begründete individuelle Entscheidungen gegen eine Fortführung des Studiums sind legitim – es ist jedoch nicht zu akzeptieren, dass diese aufgrund mangelnder Studienqualität getroffen werden.  

Neben dem oftmals zu geringen Professionsbezug beeinflusst auch die unzureichende Verknüpfung von Theorie und Praxis den Schwund im Lehramtsstudium. Trotz sogenannter Praxissemester während des Masterstudiums erleben angehende Lehrkräfte beim Übergang in den Vorbereitungsdienst bzw. ins Referendariat noch immer den viel zitierten „Praxisschock“. Durch eine kluge und möglichst frühzeitige Verzahnung theoretischer Studieninhalte mit wissenschaftlich reflektierten Praxisphasen während des Studiums oder sogar durch die Realisierung dualer Lehramtsstudiengänge im Sinne einer einphasigen Ausbildung, bei denen das Referendariat und das Studium miteinander integriert werden, könnte die Theorie-Praxis-Verzahnung deutlich verbessert und idealerweise sogar die Ausbildungsdauer verkürzt werden. Derzeit stellen verschiedene Bundesländer Überlegungen in diese Richtung an oder planen konkrete Modellprojekte.  

Zugangswege flexibilisieren und Quereinsteigende hochwertig qualifizieren 

Der Bedarf an Lehrkräften kann auch mittelfristig an vielen Schulformen durch grundständig ausgebildete Lehrkräfte nicht gedeckt werden. Die Gewinnung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen ist daher unerlässlich und sollte schon allein aufgrund der großen Anzahl an Personen, die für den Beruf benötigt werden, nicht mehr als zeitlich befristete Notmaßnahme verstanden werden. Stattdessen sollten Qualifizierungsmaßnahmen für Personen, die kein Lehramtsstudium und / oder kein Referendariat absolviert haben, aufgewertet, institutionalisiert und vereinheitlicht werden. Sie sollten als dauerhafte und an denselben Standards ausgerichteten Möglichkeiten der Weiterqualifizierung neben grundständigen Studienmodellen bestehen. Wer Lehrkraft werden möchte, egal zu welchem Zeitpunkt seiner bzw. ihrer Bildungs- und Berufsbiographie, sollte die Möglichkeit erhalten, sich umfassend und qualitätsgesichert für diesen wichtigen Beruf weiterqualifizieren zu können. Zugleich sollten diese berufsbegleitenden Qualifizierungsformate auch grundständig studierten Lehrkräften offenstehen, etwa zum Erwerb einer Unterrichtserlaubnis in einem weiteren Fach.  

Quereinstiegsmöglichkeiten für Bachelorabsolvent:innen fachbezogener Studiengänge ohne Lehramtsbezug sollten ausgebaut werden. Solche Quereinstiegsmasterstudiengänge gibt es bereits an einigen Standorten, so etwa den Q-Master für das Lehramt an Grundschulen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Evaluation des Studiengangs konnte bereits zeigen, dass es so gut wie keine Qualitätsunterschiede zwischen regulären Lehramtsmasterstudierenden und Studierenden des Q-Masters gibt. Um das Lehramt insgesamt durchlässiger für Absolvent:innen fachbezogener Bachelorstudiengänge zu gestalten, sind die Länder gefordert. Es braucht eine Verständigung darauf, lehramtsbezogene Studienanteile flexibel und individualisiert gestalten zu können, so dass zuvor nicht erbrachte Studienleistungen nach einer Art Baukastenprinzip nacherworben werden können. Lehrerbildende Hochschulen, Studienseminare und Landesinstitute müssen hierbei eng zusammenarbeiten. Gute Beispiele, wie das gelingen kann, gibt es bereits in einzelnen Ländern. So ist es etwa in Sachsen möglich, im Rahmen der sogenannten wissenschaftlichen Ausbildung von Lehrkräften im Seiteneinstieg sämtliche nicht lehramtsbezogenen Studieninhalte bis hin zu einem fehlenden zweiten Unterrichtsfach modularisiert berufsbegleitend zu erwerben. Die Kultusministerkonferenz sollte für solche Qualifizierungen einheitliche Qualitätsstandards vorlegen, die für ganz Deutschland verbindlich gelten.  

Fazit 

Ende 2023 hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) ein umfassendes Gutachten zur Lehrkräftebildung vorgelegt. Vielen Beobachter:innen, die sich davon   einen wichtigen Impuls für eine umfassende Reform in der Lehrkräftebildung erhofft haben, gehen die darin enthaltenen Vorschläge nicht weit genug. So wird etwa der Idee eines dualen Lehramtsstudiums eine klare Absage erteilt. Klar ist in jedem Fall: Es braucht dringend eine gemeinsame bildungspolitische Strategie der Länder, um die Lehrkräfteversorgung an allen Schulen der Republik langfristig sicherzustellen. Das Lehramtsstudium und der Lehrberuf müssen in Zeiten des Fachkräftemangels insgesamt attraktiver und konkurrenzfähig zu anderen Branchen werden. Denn ohne Lehrkräfte droht Deutschland seine wichtigste gesellschaftliche Ressource aufs Spiel zu setzen: Die Bildung der Kinder. 

Eine ausführlichere Variante dieses Beitrags ist zuerst in „Schulverwaltung NRW“ erschienen: Brinkmann, Bianca; Zorn, Dirk: Lehrkräftebildung in Zeiten des Lehrkräftemangels. In: SchulVerwaltung NRW 12/2023, S. 32-34.


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