Die Qualität des Lernortes Schule wird in schulpolitischen Diskursen zumeist vorrangig an den Ergebnissen der zentralen schulfachbezogenen Tests festgemacht. Im Dezember 2023 sorgten entsprechend die schlechten PISA-Ergebnisse in Deutschland für einen relativ großen Aufschrei. Eher unberücksichtigt bleibt im schulpolitischen Diskurs jedoch meist, wie Schüler:innen selbst das Lernen und das Zusammensein in ihrer Schule wahrnehmen. Dabei sind sie es, die unmittelbar betroffen sind, wenn aufgrund von personellem Mangel der Unterricht ausfällt, die technische Modernisierung im Stau stecken geblieben ist, wenn die Toiletten schlicht unbenutzbar sind, das soziale Klima schlecht ist, sie sich ungerecht behandelt oder nicht beteiligt fühlen. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass auch die Stimme der Kinder und Jugendlichen, dass ihre Perspektive, ihr Erleben von Schule und Lernen berücksichtigt wird. Das wollen auch rund 69 % der 10-17-jährigen, wie die Studie der National Coalition (2019) es zeigt. Doch wenn es darum geht, was besser laufen muss an Schulen und was es braucht, damit alle gut für ihr Leben lernen können, werden sie nicht gefragt. Auch das zeigen repräsentative Kinder- und Jugendbefragungen, wie „Children’s Worlds“ (2019) oder „World Vision Kinderstudie“ (2018), immer wieder aufs Neue. Damit Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen in die Gestaltung eines lernförderlichen Lebensraums Schule einbringen können, braucht es Räume, in denen sie gefragt werden und ihnen zugehört wird. Wie solche Räume aussehen können, stellen wir anhand des Workshops „Faire und zukunftsfähige Bildung“ vor, der im Rahmen der Jugendkonferenz „Zukunftsstimmen: Jetzt sind wir gefragt!“ umgesetzt wurde. 

Die Konferenz „Zukunftsstimmen: Jetzt sind wir gefragt!“ 

Das JugendExpert:innenTeam der Bertelsmann Stiftung (JEx-Team) setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche gefragt werden und dass man ihnen zuhört. Das JEx-Team ist eine Gruppe von rund 25 Jugendlichen aus ganz Deutschland, die sich für soziale Gerechtigkeit und Partizipation von Kindern und Jugendlichen in allen Bereichen des Lebens einsetzen. 

Unterstützt von den Projektteams „Familie und Bildung” und „Schulische Bildung” der Bertelsmann Stiftung haben wir gemeinsam mit einem Team junger Wissenschaftler:innen die Konferenz „Zukunftsstimmen: Jetzt sind wir gefragt!“ konzipiert, in Berlin pilotiert und danach ausgewertet. Mit der Konferenz mochten wir die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an politischen Prozessen stärken. Dabei sollten sich ganz besonders auch Kinder und Jugendliche eingeladen fühlen, die selbst Erfahrungen mit Kinderarmut, Bildungsbenachteiligung oder auch Diskriminierung haben und bisher nicht die Möglichkeiten hatten, sich an politischen Prozessen zu beteiligen. Unserer Einladung folgten rund 50 junge Menschen im Alter zwischen acht und 20 Jahren aus Berlin und Brandenburg. Nicht allein wegen des Alters war die Gruppe sehr heterogen, sondern auch in Bezug auf familiäre Herkunft, Bildungshintergrund, Schulform etc.. Vor dem Hintergrund ihrer je eigenen Perspektiven und Erfahrungen „verhandelten“ sie miteinander, was sie für ein gutes Leben brauchen, identifizierten Bedarfe, entwickelten Positionen und Forderungen, die sie mit Vertreter:innen aus der Jugend- und Bildungspolitik des Berliner Abgeordnetenhauses und des Bundestages teilten und diskutierten. Das Herzstück der Konferenz waren die Workshops zu den Themen Kinderarmut, Bildung, Gesundheit und Vielfalt. Zudem gab es auch themenoffene Workshops, in denen die Teilnehmenden ihre eigenen Themen, die für sie besondere Relevanz haben, bearbeiteten. Alle Workshops wurden von Jugendlichen des JEx-Teams mit den jungen Wissenschaftler:innen konzipiert, umgesetzt und ausgewertet. Die Auswertung der Konferenz ist hier zu finden. Im Folgenden stellen wir exemplarisch den Workshop „Faire und zukunftsfähige Bildung“ vor. Dabei gehen wir auf die Konzeption des Workshops ein, stellen dar, was aus unserer Sicht besondere Bedeutung hat, geben einen Einblick in den Ablauf und die Methodik und stellen exemplarisch einige Ergebnisse dar. 

Der Workshop „Faire und zukunftsfähige Bildung mitgestalten” 

Im Workshop „Faire und zukunftsfähige Bildung“ hatten die Teilnehmenden die Aufgabe, Social Media-Beiträge zu erstellen, mit denen sie den Vertreter:innen der Politik ihre Positionen zur Veränderung von Schule vermitteln konnten. Das Medium der Social Media-Beiträge wurde gewählt, da es an die Lebensrealität von jungen Menschen anknüpft. So wird ihnen die Möglichkeit geboten, ihre eigenen Anliegen und Positionen auf einer von ihnen vertrauten Plattform zu kommunizieren und sich aktiv in den Diskurs einzubringen (mehr zu Social Media und Teilhabemöglichkeiten im Blogbeitrag von Lena Budach und Amber Jensen).
Die Leitfrage des Workshops war, was Kinder und Jugendliche brauchen, um erfolgreich in der Schule für ihr Leben lernen zu können. 

Das Konzept des Workshops baut auf einem Konzept des Projektes https://jurop.uni-jena.de/ JUROP auf, in dem Jugendliche ebenfalls Social Media-Beiträge entwickelten, in denen sie ihre Interessen, Anliegen und Fragen zu Europa und der EU thematisierten. Auf Basis des methodischen Grundgerüstes wurde das Workshopkonzept auf den Rahmen der Kinder- und Jugendkonferenz abgestimmt und in Bezug auf Zielgruppe, Zeit und Inhalt angepasst. Der Ablauf kann grob in vier aufeinander aufbauende Schritte unterteilt werden: 

  1. Schritt: Nach einem Einstieg zum Kennenlernen beantworteten die Teilnehmenden in einer Assoziationsmethode zuerst die Frage, was ihnen an ihrer Schule gefällt, um im Anschluss den Kopfstand zu machen und in einem World-Café zu erarbeiten, was sie gern ändern würden.
  2. Schritt: Darauf aufbauend arbeiteten die Teilnehmenden dann in Kleingruppen an der Frage, wie sie sich die Schule der Zukunft vorstellen, um dies in der Gesamtgruppe vorzustellen.
  3. Schritt: Auf Basis der Vorarbeit erstellten die Teilnehmenden dann – wiederum in Kleingruppen – Social Media-Beiträge, mit denen sie ihre Vorstellungen, Ideen und Forderungen ausdrückten.
  4. Schritt: Die Beiträge wurden zum Abschluss des Workshops den nun dazugekommenen Gästen aus Politik und Verbänden in einer offenen Diskussion vorgestellt und es wurde diskutiert, wie die Positionen umgesetzt werden können. 

Die Ergebnisse des Workshops: Mobbing, Noten und faire Bildungschancen 

Auch wenn die Teilnehmenden aus ganz unterschiedlichen Schulen kamen, konnten sie sich schnell – unabhängig von Klassenstufe und Schulform – auf die für sie wichtigen Themen und Schwerpunkte in ihren Forderungen verständigen. Besondere Relevanz in dieser Gruppe an Schüler:innen hatten die Themen „Mobbing unter Schüler:innen“, „Schulnoten“, „Finanzielle Ausstattung“ und „Lehrer:innenmangel“. Die Ergebnisse des Workshops sind in Form der produzierten Social Media-Beiträge auf einem eigenen Instagram-Kanal abgebildet.

Hier einige Ergebnisse im Überblick: 

Viele Kinder und Jugendliche der Gruppe belastet der Umgang unter den Schüler:innen. Es wurde häufig angesprochen, dass Mobbing unter Schüler:innen insgesamt ein größeres Problem ist. In der Kleingruppe zu diesem Thema wurden dann auch Forderungen formuliert, erste Lösungsvorschläge entwickelt und Umgangsregeln gesammelt.  

Ein weiteres Thema, das viele Kinder und Jugendliche des Workshops bewegte, bezog sich auf die Leistungsbewertung und vor allem die Vergabe von Schulnoten. Hier erklärten die Schüler:innen, dass Schulnoten häufig zu starkem Stress, teilweise psychischen Problemen, schlechtem Wohlbefinden und einem verschlechterten Verhältnis zu den Lehrer:innen führten. Außerdem wurde die Notenvergabe als stark subjektiv und häufig ungerecht erlebt. Als Lösung wurde eine Schule ohne Noten gefordert, die statt Noten mit Hilfetexten und individuellen Verbesserungsvorschlägen arbeiten könnte. Dieser Punkt wurde sehr kontrovers mit den Politiker:innen diskutiert.  

Im Zusammenhang mit fairen Bildungschancen wurde von einer Gruppe an Schüler:innen aus Brandenburg die finanzielle Ausstattung ihrer Schulen kritisiert und der erhebliche Mangel an Lehrkräften stark thematisiert. Die Schüler:innen nehmen ihre Schule im Vergleich zum benachbarten Gymnasium als sehr viel schlechter ausgestattet wahr und fürchten, dass sich daraus Nachteile für ihre Bildungschancen ergeben. Bei der Vorstellung der Ergebnisse war es sehr eindrucksvoll, mit welcher emotionalen Betroffenheit die Schüler:innen die Fehlausstattung und Unterversorgung an ihrer Schule ansprachen. Der Bundestagsabgeordnete unter den Gästen versprach den Schüler:innen, sich des Themas klärend anzunehmen und seine politischen Kontakte in der Region dafür zu sensibilisieren. 

Erfolgskriterien für den peer2peer Workshop – Das nehmen wir mit 

In der Nachbetrachtung sind für uns als folgende Punkte besonders relevant, damit partizipative Räume gelingen und junge Menschen sich mit ihren z. T. sehr persönlichen Erfahrungen einbringen, miteinander kritische Positionen verhandeln und Forderungen an die Politik adressieren (können). Vor allem braucht es dafür einen Gesamtrahmen, der junge Menschen, ihre Perspektive und ihre Erfahrungen in den Mittelpunkt des Interesses stellt und sie als Expert:innen für ihre Lebenswelt versteht. Die Zukunftskonferenz hat hierfür einen guten Rahmen gebildet: Ein geschützter Raum, die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Begleitung durch Jugendliche über den gesamten Tag, klare Regeln für das soziale Miteinander, etc. sind nur einige Punkte, die uns wichtig erscheinen.  

Für das Gelingen des Workshops sind darüber hinaus folgende Punkte wichtig:

Der Workshop ist ein peer2peer-Format von Jugendlichen für Jugendliche. Moderiert wurde er von fünf Jugendlichen des JEx-Teams, die in Zusammenarbeit mit Cornelius Helmert, einem Wissenschaftler des IDZ Jena, den Workshop vorbereitet, umgesetzt, dokumentiert und ausgewertet haben. Die Zusammenarbeit Workshop fand auf Augenhöhe statt und das Wohlfühlen der Kinder und Jugendlichen stand im Fokus.  

Der Workshop ist ein inklusives Angebot für alle Kinder und Jugendlichen im Schulalter. Die Gruppe war sehr heterogen in Bezug auf das Alter der Teilnehmenden deren soziale und kulturelle Herkunft und besuchte Schulformen und Klassenstufen. Auch wenn ganz unterschiedliche Perspektiven zusammenkamen, bestand große Einigkeit bei der Auswahl der relevanten Themen und Entwicklungsbedarfe. Das Feedback zeigte, dass sich alle Kinder und Jugendliche einbringen konnten. 

Der Workshop war ein freiwilliges Angebot. Die Teilnehmenden konnten sich das Thema nach eigenem Interesse wählen. Sie hatten vorher ausreichend Zeit sich anhand von Aushängen und auch im Gespräch mit den Jugendlichen des JEx-Teams über die angebotenen Workshops zu informieren und sich in Listen einzutragen.  

Der Workshop ermöglichte allen Teilnehmenden, selbstbestimmt und selbstreguliert mitzuarbeiten. Die Methoden und Aufgabenstellungen wurden so gewählt, dass sie möglichst partizipative, kooperative und selbstregulierte Prozesse ermöglichten und anregten. Die Aufgabe, einen Social Media-Beitrag zu erstellen, hat die Teilnehmenden angesprochen und zur Mitarbeit motiviert. Das Feedback zeigte, dass sie dieses Präsentationsformat als sehr viel lebensweltnäher erlebten als die Erstellung von Flip-Charts, Postern, Texten, etc.  

Die Gäste aus der Politik hörten den Kindern und Jugendlichen zu, nahmen ihre Anliegen ernst und gingen darauf gezielt ein: Die Teilnehmenden konnten ihre Forderungen an die Politiker:innen gezielt vermitteln. Das Format der Social Media-Beiträge hat sie dabei unterstützt, ihre Forderungen so konkret wie möglich auf den Punkt zu bringen. Die Politiker:innen konnten dadurch die wesentlichen Themen und Punkte der Schüler:innen gut erfassen. Die sehr persönlichen Erfahrungen der Schüler:innen wurden exemplarisch und anonymisiert mit den Politiker:innen geteilt und haben emotionale Nähe und Betroffenheit entstehen lassen.  

 


Literaturangaben: 

Andresen, Sabine/ Wilmes, Johanna & Möller, Renate (2019). Children’s Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann. 

Budach, Lena & Jensen, Amber (10. April 2024). Wie die AfD auf TikTok politisiert und weshalb Demokratiebildung in Schulen immer wichtiger wird. Online unter: https://schule21.blog/2024/04/10/demokratiebildung-in-schule/  

National Coalition Deutschland (2019). Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. 5./6. Ergänzender Bericht an die Vereinten Nationen. Berlin. 

World Vision (2018). Was ist los in unserer Welt? Kinder in Deutschland 2018. 4. World Vision Kinderstudie. Beltz.  

 

Ähnliche Beiträge auf diesem Blog:

Schülerstimmen: Was Schüler:innen über Prüfungen in der Schule denken

Schülerstimmen: Was Schüler:innen über Lernen in der Schule denken

Schule21 im Gespräch mit Florian Fabricius über die Bundesschülerkonferenz

Zur Umsetzung der Bildungs- und Beteiligungsrechte an deutschen Schulen

Kinderrechtliche Anforderungen an Bildung und Beteiligung in Schulen